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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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mehr verändern als eine Million, außer man war bereits Millionär. Eine Million zu gewinnen war die Sache doch sicher auch wert. Aber wenn das tatsächlich so war, warum spielte ich dann nie Lotto?
    Ich ging nach oben in mein Arbeitszimmer und meldete mich bei meinem Onlinebanking-Programm an, weil ich kaum wagte, daran zu glauben. Doch da war er: ein neuer Gesamtsaldo von zweiundzwanzigtausenddreihundertvierzig Pfund auf meinem Geschäftskonto. Damit war der Überziehungskredit schon mal getilgt. Ich überwies einen Teil des Betrags auf mein Privatkonto, um den dortigen Dispokredit ebenfalls zu tilgen und mir noch eine gewisse Summe zum Ausgeben zu lassen. Als ich fertig war, hatte ich auf meinem Privatkonto ein Guthaben von etwa fünftausend Pfund und fünfzehntausend Pfund auf dem Geschäftskonto. So viel Geld hatte ich noch nie im Leben besessen. Ich schickte eine PayPal-Zahlung an meinen E-Mail-Provider, und nachdem ich mein Handyguthaben aufgeladen hatte, konnte ich auch die Nachrichten abhören, die mir der Nachfolger meiner Agentin auf der Mailbox hinterlassen hatte, um mir mitzuteilen, dass das Geld eingetroffen sei und er es mir überweisen würde. Er sagte auch, dass er etwas in Sorge sei, weil ich so gar nicht auf die Mails reagieren würde, die er mir wegen des Angebots geschrieben habe, und dass er sehr hoffe, ich sei einverstanden, wenn er den Vertrag in meinem Namen unterzeichne. Außerdem würde er sich freuen, wenn wir uns einmal treffen und über aktuelle und künftige Projekte reden könnten.
    Als ich ihm gerade antworten wollte, hörte ich von unten ein vernehmliches Scharren – heftig und beharrlich. Manchmal sperrte B. sich im Bad ein und kratzte dann an der Tür, damit ich sie wieder rausließ. Doch als ich aufstand und nach unten schaute, stand die Badezimmertür weit offen, und B. war nirgends zu sehen. Ich ging die Treppe hinunter. B. lag friedlich schlafend auf dem Sofa, und das Scharren war nicht mehr zu hören.

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    TEIL ZWEI
    ***
    Wenn ein Stück braunen Zwiebacks einem meiner Pinscher, einer Hündin, gegeben wird, und sie ist nicht hungrig (ich habe auch von andern ähnlichen Beispielen gehört), so zerrt sie dasselbe zuerst umher und zerfetzt es, als wenn es eine Ratte oder ein anderes Beutetier wäre; dann wälzt sie sich wiederholt auf demselben herum, als wenn es ein Stück Aas wäre, und endlich frisst sie es. Es möchte fast scheinen, als sollte dem widrigen Bissen erst noch ein imaginärer Geschmack beigebracht werden, und um dies zu bewirken, handelt der Hund in seiner gewöhnlichen Art und Weise so, als wenn der Zwieback ein lebendiges Tier wäre oder wie Aas röche, obgleich er besser als wir weiß, dass dies nicht der Fall ist.
    CHARLES DARWIN, Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren

Gegen zehn klingelte das Telefon. Josh war dran.
    «Kannst du vorbeikommen?», fragte er. «Christopher ist hier, und er flippt völlig aus.»
    Dann war er also bei seinem Vater.
    «Was ist denn los?», wollte ich wissen. «Warum flippt er aus?»
    «Weil Milly bei uns einzieht. Kommst du?»
    «Ja, klar. Bis gleich.»
    Ich tankte den Wagen voll und kaufte mir zwei neue Flaschen Radweld. Nachdem ich eine davon vollständig in den Kühler geleert hatte, fuhr ich über die Lanes nach Totnes. Meine Hände, die den abgebildeten auf der Radweld-Flasche – groß und maskulin – kein bisschen ähnelten, rochen nach Automotor. Nachts konnte man auf den Lanes recht schnell fahren: Es war so dunkel, dass man jeden anderen Autoscheinwerfer schon Kilometer im Voraus sah. Man musste nur auf nachtaktive Tiere aufpassen und auf Wanderer, die ohne Taschenlampe unterwegs waren. Doch ich fuhr ganz und gar nicht schnell. Ich fuhr genauso langsam wie tagsüber. Es war eine schöne Nacht, Tausende von Sternen sprenkelten den klaren, schwarzen Himmel. Natürlich waren all die Sterne, die ich dort oben sah, seit langem tot – es sei denn, wir lebten in der Zweitwelt. Was wäre dann mit ihnen? Wären sie wieder lebendig? Oder fiktiv? Eine Kulisse für die Heldenreisen längst Verstorbener? Doch ich hatte an diesem Abend nicht allzu viele Gedanken für Sterne übrig. Hin und wieder huschte ein Dachs aus den Hecken über die Lanes. Wie es wohl in einem Dachsbau aussah? Wenn ich einfach anhielt und in einen hineinkroch, würden die Dachse mich bei sich aufnehmen? Vielleicht vergaßen Christopher und seine Familie ja irgendwann, dass sie auf mich warteten. Aber

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