Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Keynes, dessen Schriften im Schatten der Weltwirtschaftskrise verfasst wurden, kam zu dem Schluss, dass dieser
Zyklus ein Eigenleben entwickle, wenn dem nicht entgegengesteuert werde. Wenn die Krise schwer genug sei, verlöre die Wirtschaft
ihren kapitalistischen Instinkt, und nervöse Unternehmer und Verbraucher reduzierten ihre Ausgaben stärker, als es die rückläufigen
Einkommen und die schlechte Wirtschaftslage eigentlich erforderten. Trotz des Überangebots an Arbeitskräften und des Leerlaufs
in den Fabriken würde die Wirtschaft in einen dauerhaften Zustand der Stagnation abgleiten, wenn ein Teufelskreis aus stetig
sinkender Nachfrage, Beschäftigung, Produktion und Preisen die Wirtschaft in eine Deflationsspirale treibe.
Keynes glaubte, dass die Wirtschaft eine solche Flaute nicht aus eigener Kraft überwinden konnte. Nur wenn die Regierung in
die Bresche springe und direkt oder indirekt für einen Ausgleich zwischen der schwachen Nachfrage und dem Überangebot sorge,
könne sich die Wirtschaft stabilisieren und zum Wachstum zurückfinden. Solche Ausgaben müssten über die Staatsverschuldung
finanziert werden, doch laut Keynes sei es besser, Geld auszugeben, um eine schlimmere Katastrophe zu verhindern. Der Haushalt
könne nach Beendigung der Krise wieder ausgeglichen werden. Keynes war sogar überzeugt, dass eine verfrühte Rückkehr zur Haushaltsdisziplin
eine aufkommende Erholung abwürgen würde.
Obwohl Keynes seine Ideen erstmals 1936 veröffentlichte, nahmen viele Regierungen der dreißiger Jahre seine Vorschläge bereits |218| vorweg. In Hoovers frühen Experimenten und vor allem in Roosevelts »New Deal« fanden Menschen durch große und kleine öffentliche
Bauvorhaben Arbeit, und die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen wurde gestärkt. Wie viel damals gebaut wurde, beeindruckt
bis heute. Unter der Federführung neuer staatlicher Behörden – der Public Works Administration PWA, der Works Progress Administration
WPA und freiwilligen Arbeitsdiensten – wurden über 38 000 Kilometer Abwasserleitungen, 480 Flughäfen, 78 000 Brücken, 780
Krankenhäuser, 915 000 Kilometer Landstraßen und über 15 000 Schulen, Gerichtsgebäude und andere öffentliche Gebäude gebaut. 2
Das alles vollbrachte zwar keine Wunder, doch die Ergebnisse waren imposant: Die Arbeitslosenquote sank zwischen 1933 und
1937 von rund 25 Prozent auf knapp 15 Prozent. 3 Die neuerliche Haushaltsdisziplin im Jahr 1937 ließ die Wirtschaft ein Jahr lang in die Rezession zurückfallen, weshalb die
Roosevelt-Regierung ihre Strategie wiederaufnahm, den New Deal durch Staatsverschuldung zu finanzieren. Der Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs, der Staatsausgaben in noch größerer Höhe erforderte, half den Vereinigten Staaten, die hartnäckigen Nachwirkungen
der Weltwirtschaftskrise zu überwinden, und sorgte für eine nachhaltigere Erholung des Wachstums.
Keynes war der Wirtschaftstheoretiker der Nachkriegszeit, und seine Rezepte wurden schnell zur Standardlösung – nicht nur
im Krisenfall, sondern für jeden größeren und kleineren Abschwung. In den siebziger Jahren fiel Keynes in Ungnade, doch in
den neunziger Jahren, als die japanische Wirtschaft nach dem Ende des Immobilien- und Aktienbooms ins Trudeln geriet, griff
die japanische Regierung seine Ideen wieder auf. 4 Im folgenden Jahrzehnt verabschiedete sie ganze zehn gesonderte Konjunkturprogramme in einem Umfang von mehr als einer Billion
US-Dollar und trieb das Haushaltsdefizit auf Rekordhöhe. Die Programme hinterließen ein zweischneidiges Erbe: Die Infrastruktur
wurde zweifelsohne verbessert, doch gerade auf dem Land entstanden zahlreiche |219| überflüssige Projekte. Die Wirtschaftswissenschaftler sind sich nach wie vor uneins darüber, wie sinnvoll diese Projekte wirklich
waren. Obwohl sie diese Politik für gescheitert erklären, halten viele von ihnen die öffentlichen Bauvorhaben nach wie vor
für richtig und kritisieren lediglich die Auswahl der Projekte. Andere sind der Ansicht, die Regierung habe nicht genug Geld
ausgegeben oder sei zu schnell zurückgerudert. 5
Konjunkturprogramme und direkte staatliche Investitionen sind jedoch nur eine von mehreren Möglichkeiten, die der Politik
zur Verfügung stehen. Eine weitere sind Steuersenkungen und -rückzahlungen, die auf der Erwartung basieren, dass die Verbraucher
ihr zusätzliches Einkommen ausgeben. Zumindest theoretisch soll auf diese Weise der private
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