Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
Mund und Sinne ist viel vertrauter. Das heißt aber nicht, dass ich mir die langfristige Belohnung nicht doch schmackhafter machen könnte.
An dieser Stelle kommt der präfrontale Kortex ins Spiel, der Teil des Gehirns, der unser Handeln steuert. Diese Region kann anderen Zielen einen höheren Wert verleihen. Wie Bunge erklärt, kann der Kortex »die schwächeren Bilder durch anregende Vorstellungen aufblähen und damit diese Nervenverbindungen stärken. So werden die Neuronen aktiver, die unsere Fähigkeit befeuern, uns abzuwenden.«
Die gewohnte Reaktion–am Imbiss stehenbleiben–ringt also mit der gesteuerten Reaktion, die mir zufunkt, weiterzugehen. Wenn ich mich oft genug erfolgreich von einem mächtigen Reiz abwende, lässt seine Intensität mit der Zeit nach, weil die Gewohnheit durch das neu Gelernte überlagert wird. Durch eine verstärkte Aktivierung der Neuronen, die ein bestimmtes Verhalten symbolisieren (»weitergehen«), gelingt es dem Kortex, die Alternative zu unterdrücken (»anhalten und essen«). Auf diese Weise bekommt der bewusste Plan der vorderen Hirnrinde die Chance, den Wettkampf zu gewinnen. Der Plan ist demnach mein Hebel gegen die Einladungen an mein Gehirn.
Zudem lehrt mich die Erfahrung etwas Wichtiges über die
neuronale Erregung, die abläuft, wenn ich mich dem Imbissbereich nähere: Der Drang, hier Halt zu machen, dauert nicht lange an. Wenn ich mich auf meine Regeln konzentriere (»Weitergehen, direkt zur Gepäckausgabe«), kann ich mich von dem Reiz abwenden. Sobald sein verführerischer Ruf verhallt, beruhigen sich meine Neuronen wieder. Ich bin nicht in Versuchung, einfach umzudrehen, sondern habe akzeptiert, dass es für mich jetzt keine Frühlingsrollen gibt.
Das sind meine persönlichen Erfahrungen mit dieser Grundlektion: Regeln, die uns Speisen versagen, können unsere Reaktion auf Hinweisreize verändern. Wenn wir wissen, dass wir jetzt kein Hähnchen bekommen, reagieren die Neuronen anders. Auf dem Gipfel eines Berges, wo es weit und breit keinen Wienerwald gibt, sprechen unsere Belohnungspfade weniger auf das Bild eines Brathähnchens an.
Der Neurologe Alain Dagher vom neurologischen Institut der McGill-Universität in Montreal verfolgte in einer Raucherstudie anhand von Aufnahmen, wie unsere Vorfreude die Gehirnaktivität beeinflusst. [Ref 213] Alle Teilnehmer der Studie erhielten einen Gehirnscan, aber nur einigen wurde mitgeteilt, dass sie gleich nach dem Test Gelegenheit für eine Raucherpause hätten. Die anderen ließ man glauben, dass sie erst in vier Stunden wieder rauchen dürften und dass man diese Vorgabe anhand eines Kohlenmonoxidmonitors überwachen würde.
Daghers MRT-Aufnahmen zeigten, dass bei den Teilnehmern, die nicht davon ausgingen, hinterher rauchen zu dürfen, die Gehirnareale für Erregung und Aufmerksamkeit weitgehend abgeschaltet waren. »Diese Studie belegt, dass man die aktive Reaktion wie auch die Reaktionen im Gehirn auf Hinweise aufs Rauchen verringern kann, wenn die Belohnungserwartung herabgesetzt
wird«, so Dagher. »Irgendwie sind diese Menschen in der Lage, ihre Reaktion zu unterdrücken. Wenn eine Belohnung als unerreichbar eingestuft wird, beeinflusst sie das, was wir für eine ganz grundlegende, automatische Reaktion gehalten haben.«
Wenn das Gehirn also erkennt, dass eine Belohnung ausbleibt, verlagert sich offenbar die Aufmerksamkeit auf anderes. Regeln machen sich diese Fähigkeit zunutze, indem sie die Möglichkeit, sich eine essbare Belohnung zu sichern, ausschließen und uns zwingen, uns auf etwas anderes zu konzentrieren.
Mit der Zeit können solche Regeln in Fleisch und Blut übergehen. Bis es jedoch so weit ist, muss man sie »im Hinterkopfbehalten«, damit sie in dem Moment greifen können, wo wir sie brauchen. Das erfordert Aufmerksamkeit, Übung und Vorausplanung, die von der Erwartung motiviert werden, dass wir am Ende eine andere emotionale Befriedigung ernten werden. Die Fähigkeit, eigene Regeln zu befolgen, wird irgendwann selbstbelohnend.
34 | Gefühle einbeziehen
Damit Umlernen möglich ist, muss man sich entweder von etwas angezogen fühlen, das man sich wünscht, oder von etwas abgestoßen sein, das nicht mehr wünschenswert erscheint. Am leichtesten wird es, wenn beides zusammentrifft.
Am konditionierten Überessen sind mehr angenehme und tröstende Reize beteiligt als an vielen anderen Gewohnheiten. Sie treiben uns zum Handeln an, weil wir viele gute Gefühle mit ihnen verbinden.
»Auf Bauchniveau
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