Das Erbe der Apothekerin - Roman
Hättest du nicht an seiner Stelle Mauritz zu dir rufen können?«
Magdalena erschrak zutiefst. War es nicht eine große Sünde, einen derartigen Wunsch zu äußern? Andererseits wusste sie genau, dass ihr selbst dieser Gedanke mehr als einmal durch den Kopf geschossen war, als ihr die perfiden Machenschaften ihres Oheims zu Bewusstsein kamen …
»Ich sehe es dir an, mein Kind, du fragst dich, ob ich eine schlechte Mutter bin, weil ich solche Worte gebrauche, nicht wahr?«
Die Großmutter zog Magdalena an ihre Brust und strich ihr über das Haar. »Ich weiß es selbst nicht, Lenchen. Ich weiß bloß, dass ich Georg, seit er auf der Welt war, aufrichtig geliebt habe – und dich auch, mein Liebes. Mauritz hingegen war mir verdächtig, seit er als Vierjähriger ernsthaft versucht hat, seinen kleinen Bruder, der gerade ein Jahr alt war, umzubringen.
Ich habe noch nie darüber gesprochen, weil ich über einen Vierjährigen nicht den Stab brechen wollte. Aber vergessen konnte ich nie, wie ich gerade noch rechtzeitig dazukam, als Mauritz den winzigen Jörgle mit dem Gesicht in eine Schüssel voller Wasser drückte, um ihn wie eine junge
Katze zu ersäufen … Ich habe meinen Ältesten daraufhin ständig im Auge behalten, weil ich insgeheim immer damit rechnete, dass er dem Kleineren aus Eifersucht erneut Schaden zufügte.«
»Um Himmels willen, Großmutter!«
Magdalena wurde plötzlich eiskalt. Auf einmal brach sie weinend neben dem Stuhl der alten Frau zusammen. Und dann strömte es aus ihr heraus, das ganze Elend mit dem Kind, das sie von Konrad erwartete. Sie offenbarte ihre Angst vor der Armut und der Heimatlosigkeit durch den Betrug ihres Vormunds, gestand ihre Furcht vor der Gefangennahme durch die Klosterknechte, vor der Bestrafung durch die Äbtissin, der Schande …
Die alte Frau nahm ihre Enkelin daraufhin ganz fest in die Arme.
»Es ist doch wunderbar, dass du neues Leben in dir trägst, Kind. Du bist keineswegs die Einzige, die ihr Kind ohne Vater aufzieht. Immerhin bin ich auch noch da und werde dir helfen, so gut ich kann.«
Aber Magdalena blieb untröstlich.
»Mein ganzes junges Leben ist verpfuscht, Großmutter. Selbst, wenn es mir gelänge, den Schergen zu entkommen, wären ich und mein Kind dem Verderben auf der Landstraße preisgegeben. Im Grunde ist es auch gleichgültig, ob mich die Nonnen in ihrem Kerker einsperren oder mich mein Oheim im Keller gefangen hält. Wenn es ihm gefällt, kann er mich als Sünderin und Person, die Schande über die Familie gebracht hat, sogar töten. Er hat immerhin die Munt über mich.«
»Das behauptet er zumindest.« Elises Stimme klang verbittert und wütend.
»Ich habe zumindest nicht gehört, wie Georg ihn so kurz vor seinem Tod zu deinem Vormund bestimmt haben soll.
Das war erstens gar nicht möglich, weil er im Schlaf gestorben ist, und zweitens hätte er das niemals getan, weil er nichts von Mauritz hielt.
Aber das Gegenteil ist kaum zu beweisen. Schade, dass ich zu alt bin, sonst hätte ich mich darum beworben, dein Vormund zu sein – wenn du denn unbedingt einen brauchen solltest. Eines aber musst du wissen: Umbringen darf er dich auf keinen Fall! Eine solche Tat würde ihn dem Henker überantworten.«
»Was soll ich Eurer Meinung nach tun, Großmutter?«
Die vom Weinen noch leicht glänzenden Augen der jungen Frau waren voll Vertrauen auf den einzigen Menschen in diesem Hause gerichtet, von dem sie erwarten konnte, dass er ihr wohlgesinnt war. Muhme Margret mochte zwar sehr redlich sein, aber zu ernsthaftem Widerstand gegen ihren Ehemann würde sie sich niemals hinreißen lassen.
Elises Gedanken überschlugen sich indes förmlich. Keine Frage, das Mädchen musste aus dem Haus – zumindest solange Mauritz hier schaltete und waltete, wie es ihm beliebte. Und dieser Zustand würde sich vermutlich bis zu seinem Tod nicht ändern …
»Bliebest du hier, mein Liebes, würde mein Sohn dich entweder an den Büttel verraten, oder er machte sich einen Spaß daraus, dich schlimmer als eine Sklavin zu halten! Auf alle Fälle musst du das Haus verlassen«, überlegte die alte Frau laut.
»Und wohin soll ich mich wenden, Großmutter? Keiner wird mich beherbergen wollen. Entweder die Leute sind feige und wollen keinen Verdruss mit meinem Vormund, oder es ist ihnen gleichgültig – oder sie finden, dass es mir, als einem verdorbenen Frauenzimmer, nur recht geschieht. Vermutlich werde ich einfach in der Gosse landen, nachdem
ich wie eine Verbrecherin bei
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