Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
getan, als hätten sich die Dinge so entwickelt wie von Anfang an von ihm vorgesehen.
»Da du wohl nun mein Schwiegersohn bist«, hatte Ensingen bemerkt, »ist es wohl angemessen, wenn ich dir den Posten des Parliers anbiete.«
Wulf lächelte freudlos. »Ich werde ihm nie vergeben, was er dir angetan hat«, brummte er. »Und wenn du nicht in seiner Nähe sein willst, lehne ich ab.« Er fuhr sich durch das zerzauste Haar. »Dann versuche ich, wieder Arbeit in Straßburg zu finden.« Ein kaum wahrnehmbares Stechen in seiner Brust ließ ihn die Unterlippe zwischen die Zähne ziehen. »Dort habe ich ohnehin noch etwas zu erledigen.« Er senkte den Blick, und als sich nach einiger Zeit ihre Hand in die seine schob, schluckte er schwer.
Das Rascheln der Decke verriet, dass sie sich bewegte. Sanft, beinahe wie ein Windhauch, streiften ihre Lippen die seinen, dann spürte er ihre Finger unter seinem Kinn. Liebevoll zeichnete sie die Konturen seines Kiefers nach, legte die Handfläche auf seine Wange und zog ihn schließlich an ihre Brust. »Ich liebe dich so sehr«, flüsterte sie in sein Haar. »Es war eigennützig von mir, nur an mich zu denken. Du hast alles aufgegeben, um Bildhauer zu sein. Wie könnte ich dir im Weg stehen?«
Eine kleine Falte trat zwischen ihre Brauen. »Mein Vater hat seinen Kopf durchgesetzt, solange ich ihn kenne. Aber ich bin mindestens genauso stur wie er. Wenn du mit ihm zusammenarbeiten willst, dann werde ich es auch schaffen, ihm die Stirn zu bieten.« Ein energischer Unterton trat in ihre Stimme. »Ohne dich bin ich nur ein halber Mensch.« Sie zwang Wulf, ihr in die ernsten Augen zu sehen. »Wenn wir heiraten, hat er keine Macht mehr über mich. Warum sollte ich mich dann noch vor ihm fürchten?«
Wulf nickte und strich ihr eine Strähne aus der Stirn. »Das brauchst du nicht«, versicherte er belegt. »Ich werde dich mit meinem Leben beschützen.« Mit diesen Worten nahm er sie erneut in die Arme und ließ sich von der grenzenlosen Liebe, die er für sie empfand, davontreiben.
Als er etwas später das Haus des Händlers verließ, wandelte er wie auf Wolken. Nach langem Drängen hatte Brigitta seinem Wunsch nachgegeben, sich weiter von den Strapazen der vergangenen Wochen auszuruhen. Nur weil er selbst sich um die Vorbereitungen für den bevorstehenden Aufbruch kümmern musste, hatte er sie schließlich schweren Herzens allein gelassen. In weniger als zwei Stunden würde er wieder bei ihr sein!, beruhigte er sich und steuerte auf die Münsterbaustelle zu, um Ulrich von Ensingen seine Zustimmung zu überbringen. Ganz egal, wie viel Abscheu er für den Werkmeister als Vater empfand, seine Kunst war von solcher Erhabenheit, dass Wulf diesen Pakt mit dem Teufel eingehen würde. Allerdings würde er einen Vertrag mit ihm machen, in dem alle Einzelheiten festgelegt wurden. Auf keinen Fall würde er dem Baumeister das Gefühl geben, über ihn verfügen zu können, als ob er noch ein Lehrling wäre! Dazu hatten sich die Dinge zu sehr geändert.
Er hatte das Haus des Werkmeisters beinahe erreicht, als ein von der Franziskanerabtei kommender Leichenkarren an ihm vorbeirumpelte. Das vergilbte Tuch, mit dem die Toten nur notdürftig bedeckt waren, verrutschte, als das Rad des Fuhrwerks in einer Rille stecken blieb, aus der es der schimpfende Fahrer wohl nicht ohne Hilfe würde befreien können. Durch den Stoß nach hinten geschleudert, hing einer der Leichname halb über die Kante des Gefährts, und Wulf wollte gerade das Gesicht abwenden, als er das Opfer erkannte. Hätte es nicht das Missfallen der in einigem Abstand folgenden Ordensbrüder erregt, hätte er an Ort und Stelle einen Triumphschrei ausgestoßen. Seine Bedenken waren umsonst gewesen!, dachte er und brannte jede Einzelheit in sein Gedächtnis ein. Gott hatte den Mörder bereits in die Abgründe der Hölle gestoßen. Die Genugtuung, die sich beim Anblick von Ortwins verzerrtem Gesicht in ihm ausbreitete, ließ ihn beinahe beschwingt das Hindernis umrunden. Entschlossen schritt er auf das Haus des Baumeisters zu und hob den Klopfer an der Tür.
Epilog
Burg Katzenstein, April 1369
Dünne Schleierwolken zogen über den kobaltblauen Himmel. In der Ferne erhob sich hinter dem jungen Grün des Waldes eine mächtige Rauchsäule, die vermutlich vom Feuer eines Köhlers herrührte.
Mit beiden Händen auf die Wehrmauer des Bergfriedes gestützt, ließ der Ritter Wulf von Katzenstein den Blick schweifen, bevor er den Brief, den er erhalten
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