Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
mit der Arbeit beginnen. Vielleicht war seine Zukunft dann doch nicht so düster, wie er noch vor wenigen Stunden befürchtet hatte!
Kapitel 29
Zwischen Ulm und Katzenstein, Ende Juni 1368
Immer wieder wandte Wulf von Katzenstein sich im Sattel seines Hengstes um, um sich zu versichern, dass er die Ereignisse der letzten Tage nicht geträumt hatte. Und jedes Mal, wenn sein Blick auf den dicht hinter ihm reitenden jungen Mann fiel, erfüllte ihn eine solch ungezügelte Freude, dass er am liebsten laut gelacht hätte. Strahlend genoss er die frische Brise, die den am Waldrand entlangtrabenden Reitern die von der Sonne erhitzten Gesichter kühlte. Das Scherzen der Knappen, die den jungen Mann seit dem Aufbruch mit neugierigen Fragen bombardierten, wirkte genauso unbeschwert und heiter wie der Tanz der Schmetterlinge, die den Zug begleiteten. Zwar war die Trauer um Katharina beim Anblick des Knaben, der seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, mit erschreckender Macht wieder aufgeflammt, doch hatte die Hochstimmung inzwischen alle dunklen Gefühle vertrieben. Nach achtzehn Jahren vergeblicher Suche hatte er endlich seinen Sohn gefunden! Die in ihm aufwallende Freude ließ ihn seinem Hengst die Sporen in die Flanken treiben, sodass das Tier mit einem empörten Wiehern auf die Hinterbeine stieg. Sorglos und übermütig wie ein Jüngling preschte er über die ausgetrocknete Wiese, die sich vor den Reitern erstreckte. Es dauerte nicht lange, bis das Donnern von Hufen an sein Ohr drang, als seine Gefolgsleute es ihm gleichtaten. Einzig der Tross mit den von ihm erstandenen Kaltblütern und einer der Berittenen blieben zurück, während der Rest der Abordnung in wilder Hatz über das struppige Gras jagte.
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»Ruhig!«, flehte Wulf Steinhauer und griff die Zügel nach, was jedoch lediglich zur Folge hatte, dass der verdammt lebhafte Wallach unter ihm schnaubend in der Hinterhand nachgab. »Hoh!«, versuchte er einen anderen Befehl, doch auch dieser zeigte nicht gerade den gewünschten Erfolg. Angestachelt von seinen davongaloppierenden Artgenossen wollte auch Wulfs Falbe ausbrechen, was ihm, der sich verzweifelt mit den Knien festklammerte, kalten Schweiß auf die Stirn trieb. Warum hatte er nur gelogen, als sein Vater ihn danach gefragt hatte, ob er reiten konnte?!, schalt er sich und krallte die Finger in die Mähne des Tieres, das heftig schnaubend den Kopf auf und ab warf. Der ungewohnte Geruch des auf Hochglanz gewachsten Leders stach ihm in die Nase, als er sich tiefer über den Hals des Wallachs beugte, um diesen verkrampft zu tätscheln, wie er es die anderen Reiter hatte tun sehen. Was am Anfang recht einfach ausgesehen hatte, hatte sich im Verlauf der letzten drei Tage als solche Tortur erwiesen, dass Wulf inzwischen kaum mehr sitzen konnte. Nicht nur die Haut an seinen Schenkeln war wundgescheuert und rot; auch sein Sitzbereich schmerzte so sehr, dass er sich ernsthafte Sorgen machte, ob seine Männlichkeit Schaden nehmen würde oder nicht. Als sich der Falbe unter ihm endlich ein wenig beruhigte, sandte er ein kurzes Dankgebet zum Himmel und richtete sich steif wieder auf. Die hämischen Blicke der Knechte ignorierend, reckte er die Schultern und lenkte den Blick starr geradeaus. Obschon die Knappen, Ritter und Burschen seines Vaters ihn mit ausgesuchter Höflichkeit, ja sogar Freundlichkeit behandelten, schlich sich mit zunehmender Häufigkeit Verachtung in ihren Blick – wann immer Wulfs Verhalten verriet, dass er nicht in einem adeligen Haushalt aufgewachsen war.
Noch immer war der junge Mann nicht ganz zu sich gekommen, und mehr als einmal war er nachts aus dem Schlaf aufgefahren, ohne zu wissen, was geschehen war. Wenn dann allmählich die Erinnerung an das Vorgefallene zurückkehrte, sank er ermattet wieder auf den Strohsack und versuchte, Ordnung in das Durcheinander der Gefühle zu bringen. Unbewusst rieb er den feinen Stoff der neuen Kleider, die seine alten ersetzt hatten, zwischen den Fingern. Erst allmählich hatte er sich aus den Berichten seines Vaters zusammenreimen können, warum Eberhard von Württemberg ihn hatte gefangen nehmen lassen. Anders als gedacht hatte diese Verhaftung nichts, aber auch gar nichts mit der von Ortwin ermordeten Magd zu tun gehabt, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass er – Wulf von Helfenstein, wie er sich wohl jetzt nennen musste – der Sohn der verstorbenen Gräfin von Württemberg war. Der Gedanke an seine leibliche Mutter gab ihm
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