Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
die Halblinge…«
»O h, welche Ehre!«, meinte Borro vorwitzig.
»E r hielt das kleine Volk einfach für zu einfältig, ängstlich und letztlich auch für zu kurzlebig, um mit der Kraft dieses Baums wirklich einen großen Schaden anrichten zu können«, fuhr Lirandil fort.
»E infältig? Ängstlich?« Borro runzelte die Stirn. »D as klingt jetzt allerdings etwas weniger schmeichelhaft.«
»I ch nehme an, Menschen hätte er wohl als Wilde angesehen«, ergänzte Neldo.
»M enschen gab es damals in diesem Teil Athranors vermutlich noch nicht«, berichtigte ihn Lirandil. »J edenfalls kam Elbanador zu dem Schluss, dass es das Beste sei, den Halblingen die Aufsicht über den Runenbaum zu geben. Sie kannten sich schließlich am besten in den Wäldern am Langen See aus. Und ihre vergleichsweise kurzen Lebensspannen sind tatsächlich ein wirksames Mittel, um zu verhindern, dass jemand über lange Zeit hinweg einem bösen Plan zu folgen vermag und mithilfe der Kräfte des Baums vielleicht zu große Macht an sich reißt. Allerdings hatten die kurzen Leben der Halblinge auch einen gravierenden Nachteil. Ich will darauf hinaus, dass man das Wissen um den Baum vergaß. Möglicherweise gibt es irgendwo in irgendeiner Bibliothek irgendeines Wohnbaums noch halb zerfallene Schriftrollen, die davon etwas berichten. Aber von Generation zu Generation geriet das Wissen über den Runenbaum anscheinend mehr und mehr in Vergessenheit.«
»E s gibt ein paar Legenden über einen Baum, den man nicht sieht«, warf Neldo ein. »A ber ich habe nicht gedacht, dass das mehr als Kindergeschichten und Legenden sind!«
»U m ehrlich zu sein– ich auch nicht«, gestand Lirandil. »Z umindest nicht bis zu dem Augenblick, als ich das Innere des Asanil-Turms betrat und das Wissen aus Elbanadors Chronik in Empfang nahm.«
Wieder blitzte in dem Augenblick, da er die Chronik erwähnte, das bläuliche Licht in den Augen des elbischen Fährtensuchers auf.
»E s wird auf jeden Fall eine interessante Reise«, meinte Whuon. »H aben diese Runen, die den Baum bedecken, auch eine Bedeutung, oder sind es nur sinnlose Zeichen?«
Lirandil wandte den Kopf in Richtung des Schwertkämpfers.
»F ür den, der sie zu lesen vermag, sind sie gewiss voller Offenbarungen und Erkenntnisse«, antwortete der Fährtensucher. »A llerdings verändern sie sich ständig. Und so ergibt sich andauernd ein neuer Sinn.«
»W ieder eine Ähnlichkeit zu einem Dunkelalben-Gesicht«, stellte Brogandas fest und fuhr mit Blick auf Borro fort: »I ch nehme an, dass dir eine diesbezügliche Bemerkung gerade auf der Zunge lag, rothaariger Halbling!« Brogandas verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen. »D as Erbe, das der Erste Elbenkönig den Halblingen vermacht hat, wird mir immer sympathischer, muss ich gestehen.«
Auferstanden
Ein paar Tage später erreichten sie eine Gegend, die Arvan bekannt vorkam. Das Land wurde hügeliger. Grasbedeckte Anhöhen reihten sich aneinander. Offenbar befanden sie sich nun in dem Gebiet, in dem Gaanien, Rasal und Transsydien aneinandergrenzten.
Immer häufiger hatte Lirandil in letzter Zeit suchend zum Himmel geblickt. Und auch Brogandas schien zunehmend beunruhigt zu sein. Für die anderen war nicht mehr zu sehen als hin und wieder mal ein paar Wolken am Himmel. Aber Lirandils scharfer Blick erkannte dort in ungeahnten Höhen Spione Ghools.
»S chattenvögel«, murmelte er. »U nd so viele davon, wie ich nicht einmal gesehen habe, als ich in die tiefe Wüste des Ost-Orkreichs vordrang, um meinen Verdacht zu bestätigen, dass Ghool dort längst begonnen hatte, seine Kräfte zu sammeln…«
»W ir sind ihnen mehrfach entkommen«, gab Arvan zu bedenken. »E s könnte doch sein, dass Ghool diesmal sichergehen will und so viele von ihnen versammelt hat, dass wir ihnen unmöglich entwischen können.«
»D as ist gar kein so dummer Gedanke«, meinte Brogandas. »F ür einen Menschen natürlich.«
»E uch scheint diese Versammlung von Schattenvögeln nach wie vor nicht sehr zu beunruhigen«, stellte Zalea fest. »G laubt Ihr immer noch, dass sie nicht unseretwegen hier sind?«
»I ch bin immer stärker dieser Überzeugung«, gestand der Dunkelalb. »A llerdings sollten wir die Biester trotzdem nicht unbedingt auf uns aufmerksam machen.«
Ein paar Stunden später erreichten sie einen Hügel, auf dessen Kamm sich eine Gruppe knorriger Bäume erhob. Der Wind, der über die Ebenen von Rasal fegte, hatte ihrem Wuchs eine deutlich sichtbare
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