Das Erbe der Pilgerin
aufgeweichten Fernstraßen. Die Reisenden kamen gut voran, zumal die Ritter Herbergen mieden und keine Umwege in Kauf nahmen, um die Nacht unter festen Dächern zu verbringen.
»Ich habe das Gefühl, mir würde nie wieder warm«, seufzte Sophia irgendwann, »oder meine Kleidung würde nie wieder trocken. Warum können wir uns nicht ein Gasthaus suchen, und einmal eine Nacht am Feuer verbringen?«
Salomon lächelte. »Weil wir hinterher voller Läuse und Flöhe wären«, bemerkte er. »Dietmar wird sich nicht mehr daran erinnern, aber ich sehr wohl. Nach unserem letzten Aufenthalt in einer Herberge brauchte seine Mutter drei Tage, um ihn wieder von den Biestern zu befreien. Die ganze Zeit hast du geschrien wie am Spieß, Herr Ritter! Das möchte ich nicht noch mal erleben.«
»Ich kann mich heute durchaus beherrschen«, bemerkte Dietmar, woraufhin alle lachten.
Aber letztendlich sprach niemand den wirklichen Grund an, warum sie keine Gasthäuser betraten: Salomon wäre dort unerwünscht gewesen und je nach der Klientel des Wirtes auch seines Lebens nicht sicher. Ein Jude, sofern er nicht gerade unter dem Schutz eines Burgherrn stand und zu dessen Festlichkeiten eingeladen war, begab sich besser nicht in die Umgebung betrunkener Christen. So fanden die Reisenden nur gelegentlich einmal Aufnahme in einer am Wege liegenden Burg. Der Adel bot seinesgleichen stets Unterkunft und sah über Salomons Herkunft hinweg, wenn er als Medikus vorgestellt wurde. Man konfrontierte ihn oft gleich mit diversen Patienten, sodass er arbeitete, während die anderen in den Badehäusern entspannten und sich endlich einmal wärmten.
Salomon war am Ende seiner Kräfte, als sie nach mehr als zweimonatiger Reise endlich Lauenstein erreichten.
In Franken war endlich der Frühling eingezogen – zumindest an diesem Tag Ende März, als Gerlin wieder einmal vor Luitgart auf den Söller der Burg floh. Nach der Nachricht von Dietmars Verlobung webte diese zwar keine Intrigen mehr, schien aber die Suche nach einem neuen Gatten zu intensivieren. Vielleicht erhoffte sie sich ja doch noch eine Mitgift von ihrem neuen Verwandten – und Gerlin war bereit, Dietmar zuzureden. Lauensteins Wirtschaft hatte sich nach Rolands Herrschaft und der Belagerung endlich erholt. Sie konnten hoffnungsvoll in die Zukunft blicken und würden bei den Juden von Kronach sicher einen Kredit erhalten, mit dessen Hilfe sie sich Luitgarts auf freundschaftliche Weise entledigen konnten. Natürlich musste das letztlich Sophia entscheiden, aber Gerlin konnte sich nicht vorstellen, dass die junge Frau auf Dauer dulden würde, dass Luitgart ihren Hof beherrschte.
An diesem Tag würde sich das Problem jedoch nicht lösen lassen, und Gerlin dachte jetzt schon mit Grausen daran, die Burg tagelang mit dem Ritter teilen zu müssen, der eben mit einem Gefolge rotgesichtiger pöbelnder Gauner eingetroffen war. Zweifellos einer der früheren Kumpane Rolands, den Luitgart nun freudig in ihrer »Halle« begrüßte. Leider reichte der Saal des Nebengebäudes auf keinen Fall für die Unterbringung all der Männer, und es wäre auch unschicklich gewesen, hätten sie das Haus mit Luitgart geteilt. Also würden sie sich auf dem Burghof verteilen, Schlafgelegenheiten in den Ställen oder im Rittersaal erbitten – und Gerlin würde um jedes Küchenmädchen bangen müssen, das nach Einbruch der Dunkelheit noch auf dem Hof herumlief. Beim Blick über das Anwesen revidierte sie diesen Gedanken. Die Mädchen waren auch vor Anbruch der Dunkelheit gefährdet … und Gerlin selbst kaum minder. Wer wusste, was diesen Rabauken einfiel, wenn sie erst betrunken waren? Gerlin hielt die Burg mit nur wenigen und obendrein sehr jungen Rittern. Sie beschloss, einen Boten nach Neuenwalde zu schicken und um Verstärkung durch Herrn Laurents und Herrn Conrads Männer zu bitten. Auch wenn das zwangsläufig erneute Bemerkungen des Herrn Laurent nach sich ziehen würde: Würdet Ihr meine Werbung in Erwägung ziehen, so brauchtet Ihr Euch nicht zu ängstigen. Als Euer Gatte sorgte ich ständig für Euren Schutz …
Aber sie musste die Neuenwalder ohnehin einladen – für den nächsten Tag hatte sich der Bischof von Mainz angemeldet. Siegfried von Eppstein war auf der Durchreise, anscheinend standen Besprechungen mit seinem Amtsbruder in Bamberg an. Gerlin befürchtete allerdings, dass es ihm nicht nur um eine Unterkunft auf ihrer Burg ging, sondern auch um eine unauffällige Kontrolle. Hoffentlich reisten
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