Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
leben«, hatte die junge Frau im Geschäft erklärt.
Cari hatte ihrer Kundin in die Augen gesehen und auf Anhieb gewusst, dass es Liebe war und nicht etwa eine Romanze oder irgendwelche Phantasievorstellungen.
Sie hatte die junge Braut falsch eingeschätzt. Diese Frau war beileibe nicht durchschnittlich. Sie zählte zu den Glücklichen. Cari beneidete sie aus tiefstem Herzen.
Cari biss in eine frittierte Riesengarnele und seufzte. Die Liebe … Aber wann wurde die Liebe zu einer Falle? Seit wann genau löste Dans Stimme bei ihr statt des Begehrens nur ein Gefühl der Bedrängnis aus? Seit wann war sie eher genervt als erfreut, wenn sie seine Stimme hörte? Durchlebte sie vielleicht nur eine Phase der Unzufriedenheit? Oder war es mehr als das?
Chili brannte auf Caris Zunge wie heißer Honig. Sie nippte am Wein. Natürlich gab es auch gute Zeiten. Sie öffnete ein neues Schächtelchen und kostete von dem zarten, saftigen, in Zitronensaft schwimmenden Fleisch, das in eine Art Weinblatt gehüllt war. Die Zeiten, wenn sie Dan anrief, sich über eine schwierige Kundin beschwerte oder sich um ihre Mutter ängstigte. Oder wenn sie sich nach einem langen Arbeitstag erschöpft und unendlich dankbar zu ihm begab, um sich zu entspannen.
Cari streckte sich auf dem Sofa aus und stellte sich seine minimalistisch eingerichtete Wohnung vor, die einen femininen Touch vertragen konnte, wie Dan immer wieder betonte. Sie schloss die Augen. Was für ein herrliches Geschenk, verwöhnt zu werden! Nicht zu vergessen die Momente mitten in der Nacht, wenn sie sich beruhigt an seinen mit Sommersprossen übersäten Rücken schmiegen konnte, er sich umdrehte und instinktiv den Arm um sie schlang, selbst im Schlaf wissend, wann sie ihn brauchte – eine Geste, die ihm während des Tages nie in den Sinn käme.
Meine Güte! Wieso vertat sie die Zeit mit Grübeleien über Dan? Cari nahm ihr Buch zur Hand und versuchte sich zu konzentrieren. Doch draußen sang jemand »American Pie«. Der Song hat viel zu viele Verse, dachte sie stöhnend, erhob sich vom Sofa und klaubte den Abfall zusammen. Liebte sie Dan? Hatte sie ihn jemals geliebt? Und weshalb kamen ihre Zweifel stets am Abend und nie bei Tag, wenn sie in ihren Laden hetzte, die Bedürfnisse ihrer Kundinnen zu erfüllen, Termine einzuhalten und Träume zu verwirklichen suchte, oder wenn sie sich in ihrer Freizeit bemühte, einen Besuch bei ihrer Mutter, bei Dan, Lauren oder Meg einzuschieben. Vermutlich war dies ihre Art, sich über die einsamen Stunden zu retten. Falls es überhaupt eine Rettung darstellte.
Sie ging in die Küche, trat an den Kühlschrank und goss sich ein Glas Mineralwasser ein. Dann zog sie die Jalousien hoch, stellte sich dicht ans Fenster und starrte hinunter in den dunklen Garten. Der Mond war nahezu voll und der Himmel so klar, dass sie nicht nur den Umriss ihrer Tabakpflanzen und Lavendelsträucher deutlich erkennen konnte, sondern auch das Basilikum und den Rosmarin, die sie erst kürzlich in Töpfe gepflanzt hatte. Das Steinkraut wand sich bereits über die Einfassung des Hochbeets. Ein winziger Garten – aber ihr eigener.
Sie hatte Dan mit einundzwanzig kennengelernt, und sie waren noch heute – nach acht Jahren – ein Paar. Was hatte das zu bedeuten? Dass sie füreinander bestimmt waren? Oder war es nur ein Zeichen von mangelndem Mut?
Das Schloss ihres Schließfachs hatte geklemmt. Wild fluchend hatte sie den Schlüssel darin umgedreht, weil sie zu einem Referat erwartet wurde und ohnehin spät dran war. »Verflixt noch mal, oh nein, bitte nicht jetzt. Nein!«
»Probleme?«
Cari wandte sich blitzschnell um und blickte in ein freundliches Gesicht voller Sommersprossen. Sie spürte, dass sie den Tränen nahe war. Entweder lag es an all dem Stress oder ihrer bevorstehenden Periode. Wer weiß? Wen interessierte das überhaupt? Oder es lag daran, dass all das Zeug, das sie jetzt dringend brauchte, in einem grauen Fach eingeschlossen und somit unerreichbar war? Sie schlug mit der Faust dagegen. Es war zwar vergeblich, aber erstaunlich entlastend. »Ich kriege dieses verdammte Ding nicht auf.«
»Lass mich mal.« Er zog den Schlüssel ein wenig heraus und drehte ihn vorsichtig.
Männer!, dachte Cari und hätte zu gern wieder selbst angepackt. Weshalb soll man sie eigentlich immer in dem Glauben unterstützen, sie wären fähiger …?
»Schon erledigt!« Er öffnete die Tür weit.
»Ach, du lieber Himmel!« Cari holte ihre Sachen hervor, ehe die Tür erneut
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