Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
verlieren – denn es ist eine bewusste Entscheidung. In dem Augenblick der Benommenheit, in dem alles durcheinanderwirbelt, liegt ein flüchtiges Vertrauen .
Cari beobachtete, wie Marco den Schlüssel in das Schloss der alten Holztür steckte. Die Stufen, auf denen sie standen, waren aus rosa-grauem Marmor. Dieser Ort roch nach einer Menge Geld, so viel war klar. Flüchtiges Vertrauen?
Also entspannst du dich , hatte Tasmin geschrieben, sagst dir, was soll’s! – und lässt dich darauf ein .
Was soll’s!, dachte Cari und folgte ihm ins Hausinnere.
K
apitel 26
Was immer sie erwartet haben mochte, es kam vollkommen anders.
Marco nahm sie bei der Hand und führte sie durch einen hohen dunklen Gang. Ihre Schritte auf dem Holzboden hallten durch das ganze Haus. Es war das einzige Geräusch. »Offenbar ist niemand daheim«, bemerkte er unnötigerweise.
Sie betraten ein großes, feucht und modrig riechendes Esszimmer. Es blieb ihr kaum Gelegenheit, den Mahagonitisch sowie den kunstvollen Kristallleuchter an der Decke oder die Renaissance-Drucke an den Wänden wahrzunehmen, als Marco bereits die Tür entriegelte und sie auf die Terrasse führte.
Welche Erleichterung, wieder frische Luft zu atmen! Es war sehr still. Beinahe zu still. Es wehte nicht die geringste Brise, kein Blatt bewegte sich. Selbst die kleinen, kaum erkennbaren Eidechsen an der Hausmauer verharrten regungslos. Cari blinzelte in die Sonne, setzte die Sonnenbrille auf und sah sich um. Wer immer hier lebte – vorausgesetzt, das Anwesen war tatsächlich einmal bewohnt gewesen –, hatte Grund und Boden ziemlich vernachlässigt. Der Garten wirkte ungepflegt, die Terrakottakübel wiesen Sprünge auf oder lagen in Scherben. Nirgendwo blühte eine Blume, und die Farbe an den Außenwänden der Villa war abgeblättert und gab den Blick auf das Mauerwerk frei. Zwischen den staubigen Bodenplatten wucherte Unkraut; ein schwarzer, an den unteren Nähten aufgeplatzter Sack mit Gartenabfällen sowie diverse Blechteile lagen verstreut umher. Selbstverständlich gab es die obligatorische Pergola, doch der verwahrloste, wild rankende Wein hing traurig von dem Holzspalier herab.
»Komm!« Marco verschwand hinter einer Ecke. Ein Mann mit einer Mission …
Und nun? Weshalb waren sie hier? Cari konnte sich keinen Reim darauf machen. War das etwa der Ort, den er ihr hatte zeigen wollen?
Natürlich folgte sie ihm, das schien ihr zur Gewohnheit zu werden. Langsam bog sie um die Hausecke.
»Ach, du lieber Himmel!« Fassungslos blieb sie stehen.
Marco stand neben einem Helikopter. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Auf einem kleinen betonierten Flecken neben dem Haus parkte ein Hubschrauber. Marco lehnte daran und erweckte den Eindruck, der Besitzer zu sein.
Cari gefielen die Gedanken nicht, die sich in ihr regten. »Was macht denn der hier?«, fragte sie.
»Der hier?« Er lachte. »Hast du denn noch nie einen Hubschrauber gesehen, Cari?«
Nicht aus dieser Nähe. Und nicht unter so mysteriösen Umständen. Außerdem hatte er ihre Frage nicht beantwortet.
Er blickte sie über den Rand seiner Sonnenbrille an und hob fragend die Brauen. »Wie wär’s mit einem kleinen Rundflug?«
»Nie und nimmer!« Cari verschränkte die Arme und rührte sich nicht vom Fleck. Mit ihm in seinem Maserati weiß der Himmel wohin zu fahren oder gar in das Anwesen fremder Leute einzudringen, das war eine Sache. Aber in einen Hubschrauber zu steigen, der absolut nicht flugtauglich zu sein schien, war etwas völlig anderes. Das wäre Wahnsinn!
»Na, was ist?« Marco öffnete die Arme, eine für ihn typische Geste, die an einen kleinen Jungen erinnerte. »Hast du etwa Höhenangst, povera piccina , hmm?«
»Es kommt drauf an, wo ich bin, wenn ich hinunterschaue«, entgegnete sie.
Grinsend zuckte er mit den Schultern und schwang sich auf den Pilotensitz. Vermutlich war das die korrekte Bezeichnung dafür. Und nun? Wo wollte er eigentlich hin? Besaß er für diesen Vogel überhaupt eine Fluglizenz?
»Ich habe eine Fluglizenz«, rief er.
»Herzlichen Glückwunsch!« Damit wäre immerhin diese Frage geklärt. Aber Cari weigerte sich dennoch. Wieso sollte sie ihm eigentlich glauben? Ehrlich gesagt kannte sie ihn doch kaum. Außerdem, wie viele Gläser Prosecco hatte er denn beim Mittagessen getrunken?
»Ich habe nur ein Glas getrunken«, sagte er, als könne er Gedanken lesen.
Hmm. Das hieß, dass sie drei getrunken hatte. Ach, du liebe Güte! Hatte er versucht, sie betrunken zu
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