Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
protestieren. Alles war in der Schwebe und ganz anders, als er es sich vorstellte. Sie hatte ihre berufliche Laufbahn nicht aufgegeben – sondern sich lediglich eine Auszeit erlaubt. Und das galt gleichermaßen für ihre Beziehung zu Dan.
»Trotzdem«, sagte er einlenkend. »Ist es nicht eine ziemliche Investition in eine Großmutter, die du gar nicht kennst?«
»Ja, natürlich.« Cari fragte sich, wieso ihn das so beschäftigte. Er war schließlich überhaupt nicht davon betroffen. Sollte er sich nicht freuen, dass sie nach Italien gekommen war – falls sie ihre Beziehung richtig einschätzte? Während sie ihren Cappuccino in kleinen Schlucken trank, versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. »Versteh doch, Marco, vermutlich kann sie mir eine Menge über meine Familie erzählen.«
Er nickte, wirkte aber seltsam betroffen.
»Und da ich keine Ahnung habe, wer mein Vater ist, ist sie möglicherweise sogar meine einzige Verwandte.« Er als Italiener musste das doch begreifen.
Er nickte erneut.
»Außerdem …« Cari zog den Bernsteinanhänger aus ihrer bestickten Bluse. »Vermutlich kennt sie auch die Geschichte dieses Schmuckstücks.«
Mit zusammengepressten Lippen musterte er den Anhänger, beugte sich vor und nahm die Kostbarkeit in die Hand.
Beinahe eine besitzergreifende Geste, dachte sie und wurde sich der Wärme seiner Hand an ihrer Haut bewusst. Sie konnte sich vorstellen, wie er ihre Brüste berührte, wie er sie in die Arme nehmen würde.
Er rieb den Bernstein mit einem Zeigefinger, als habe er Aladins Wunderlampe vor sich. »Bella« , murmelte er. »Bellissima.« Doch seine Augen waren nach wie vor hinter der Sonnenbrille verborgen.
»Und schließlich …« Nur mit Mühe brachte sie die Worte heraus. »… ist sie meine Großmutter.«
»Sì, sì, la nonna.« Abrupt ließ er den Anhänger aus den Fingern gleiten. »Mir brauchst du nicht zu erklären, wie wichtig eine nonna ist«, sagte er ernst. »In Italien spielen Großeltern eine wichtige Rolle in der Familie. Sie haben das Recht, sich einzumischen.«
Cari drückte seine Hand. Sie hatte einen Nerv getroffen. Sie wusste, dass Marcos Großmutter ihm seit dem Tod seiner Mutter zur Seite stand. Es stimmte, ihm brauchte sie nicht zu erzählen, wie wichtig die Großmutter war. Also würde er sie gewiss verstehen, oder? »Wie geht es deiner Familie?«, fragte sie, um von dem Thema abzulenken. Hier auf der Piazza wirkte er angespannt und bei weitem nicht so locker wie am Abend zuvor. »Hast du sie seit deiner Rückkehr gesehen?«
»Meine Großmutter liegt im Sterben.« Er stürzte den Rest seines Espressos hinunter.
Cari schluckte. Wie traurig! Bestimmt war er deshalb so Hals über Kopf nach Italien zurückgefahren. Sie hatte nicht nachgedacht. »Oh, das tut mir leid, Marco.« Was sollte sie sonst sagen? Sie hatte ohne Ende über ihre ihm unbekannte Großmutter gefaselt, während er sich um seine geliebte nonna , die ihn aufgezogen hatte, sorgte. Und noch etwas kam ihr in den Sinn. Sollte er nicht bei ihr sein? Sollte er seine Zeit nicht mit seiner Großmutter verbringen, anstatt mit ihr die italienische Riviera entlangzufahren?
»Ich stehle dir zu viel Zeit«, sagte sie. »Du warst sehr hilfsbereit, aber …«
»Hilfsbereit?« Er lachte zwar, doch der Zug um seinen Mund wirkte bitter. »Vermutlich findest du mich nicht mehr so nett, wenn du mich erst besser kennst«, entgegnete er.
Wirklich? Cari beugte sich zu ihm. »Es kommt auf einen Versuch an.«
Sie schwiegen. Endlos lange, bis es richtig unbehaglich wurde. Am anderen Ende der Piazza standen zwei Italienerinnen und unterhielten sich, während sie Kirschen und Birnen aus den Kisten vor dem Obst- und Gemüseladen aussuchten. Ein junges Mädchen – schick und zugleich zwanglos in hautenge Jeans und ein figurbetontes T-Shirt gekleidet – spazierte an ihrem Tisch vorbei. Als sie die Tür zu dem Café aufstieß, wurde sie unter lautem Hallo stürmisch begrüßt. Cari meinte, in der Ferne die sich an den Felsen brechenden Wellen sowie ein zartes Summen zu hören. Entweder waren es Insekten oder das Dröhnen eines Mopeds. Doch ansonsten war alles still.
»Komm!« Marco sprang auf.
»Wohin?« Cari hatte sich bereits an einen beschaulichen Morgenkaffee gewöhnt. Sie setzte die Tasse an die Lippen.
»Ich habe entschieden«, sagte er und fuchtelte mit der Hand. »Ich habe etwas ganz Wichtiges, was ich dir zeigen muss. Und ich weiß, wie wir es am besten machen.«
»Deine Heimatstadt?«, vermutete
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