Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
nicht einmal vorstellen können.
Cari legte das Tagebuch weg. Was würde Dan sagen, wenn er erfuhr, was sie hier in Italien erlebt hatte? Es würde ihm nicht gefallen, dass sie hier länger blieb, und noch weniger, dass sie sich mit Marco traf. Was sollte sie ihm von Marco erzählen? O ja, jedes Mal, wenn ich ihn sehe, möchte ich, dass er mich in die Arme nimmt und leidenschaftlich liebt. Er tut es nur nicht. Nein. Es war unfair, Dan weiter hinzuhalten. Ihm vorzugaukeln, es gäbe noch Hoffnung. Sie wusste, dass es vorbei war.
Ruhelos wälzte sie sich auf die andere Seite. Und was Marco anging: Er war – Überraschung! – nicht besonders angetan gewesen, als sie ihm erzählt hatte, dass sie bei Aurelia wohnen würde.
»Dann werde ich dich überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen«, brummte er und brachte den Maserati unsanft auf dem Gehsteig vor ihrer Wohnung zum Stehen.
Das ließ hoffen. Sie rutschte näher …
»Gute Nacht, Cari.« Er küsste sie – auf die Wange. Ein flüchtiger Kuss auf die Wange? Fand er sie nicht attraktiv – oder hielt er sich aus irgendeinem geheimnisvollen Grund zurück, den er ihr natürlich nicht auf die Nase binden würde? Kein Wunder, dass sie nicht schlafen konnte.
»Aber ich wohne ja nicht weit weg. Warum solltest du mich nicht zu Gesicht bekommen?« Cari verstand nicht, wo das Problem lag. Weshalb weigerte er sich, ihrer Großmutter zu begegnen, wegen der sie schließlich nach Italien gereist war? Und darüber hinaus wollte ihr nicht in den Kopf, warum er ihr seinen Nachnamen verschwieg und warum er nicht preisgab, was er über ihre Familie wusste.
Verdammt … Sie stand wieder auf und trottete in die Kochnische, um sich ein Glas Wasser zu holen. Vor allem konnte sie nicht einsehen, weshalb zum Kuckuck dieser aufregende Mann ihr keinen anständigen Gutenachtkuss geben wollte!
K
apitel 30
»Madonna!« Ein weiblicher Wirbelwind fegte durch die Terrassentür hinaus auf Elenas Patio.
Die Anwesenden sprangen auf. Cari hatte gerade entspannt einer Unterhaltung zwischen ihrer Großmutter und Elena zugehört, die rasant in einer Mischung aus Italienisch und Englisch plauderten, vermutlich mit Rücksicht auf sie, da sie zum ersten Mal Gast bei Elena war. Meist verstand sie jedoch nur Bahnhof, und darüber hinaus war es anstrengend. Sie hatte aufgegeben, etwas begreifen zu wollen, hatte sich stattdessen der sommerlichen Trägheit überlassen und nur noch dem Rhythmus, dem Auf und Ab der Worte gelauscht, die am Rande ihrer Wahrnehmung dahinplätscherten. Woher nahmen diese beiden Frauen ihre schier unerschöpfliche Energie?
Der Wirbelwind war eine junge Frau, groß, sonnengebräunt und schön. Sie warf die Arme in die Luft und brach schluchzend und äußerst elegant auf Elenas Korbsofa zusammen.
»Cara mia, cara mia …« Elena setzte sich zu ihr und schlang die Arme um die schlanken Schultern des Mädchens, das etwas auf Italienisch hervorsprudelte, unterbrochen von wilden Schluchzern und dramatischen Gesten.
»Was ist passiert?«, fragte Cari besorgt.
»Nichts weiter. Mach dir keine Sorgen!«, sagte ihre Großmutter beschwichtigend.
Nichts weiter? Das klang aber gar nicht so. Cari lehnte sich zurück und blickte hinauf zu der Pergola, durch die sich einzelne Sonnenstrahlen verirrten. War das vielleicht ein weiteres Beispiel für die wohlbekannte italienische Melodramatik? Diese beiden Frauen – Aurelia und Elena – waren unglaublich. Daheim in England hätte inzwischen ein Rollentausch stattgefunden. Dort würde sich die Familie zu einem gewissen Grad um die Mittsiebzigerinnen kümmern, man würde sie umsorgen und für sie einkaufen. Vielleicht würde man sogar betreutes Wohnen oder ein Pflegeheim in Betracht ziehen. Hier jedoch hatten sie das Sagen. Weisheit und Erfahrung waren in Italien ein hochgeschätztes Gut.
»Das ist Carmella«, stellte Aurelia vor.
Die junge Braut. »Was hat sie denn?« Cari runzelte die Stirn. Carmella schien sich nicht zu beruhigen, im Gegenteil, das Schluchzen klang jetzt nahezu hysterisch.
»Es gibt ein Problem mit der Hochzeit.«
»O la Madonna …« Und wieder ging das Ganze von vorn los.
Ach je! Cari wohnte erst seit einer Woche bei Enrico und Aurelia und wusste dennoch eine Menge über diese Hochzeit. Erst eine Woche! Dabei erschien es ihr viel länger, so ausgefüllt war die Zeit gewesen. Sie hatten geredet, in Erinnerungen geschwelgt und voneinander viel Neues erfahren. Cari hatte ihre Großmutter besser kennengelernt und ihre
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