Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
das Thema Liebe.
Marco grinste und zog einem Zauberer gleich einen dicken schwarzen Filzstift aus der Tasche seines Hemdes. »Sollen wir? Es ist so Brauch.«
Cari zuckte die Achseln. »Natürlich.« Andere Länder, andere Sitten. Am besten einfach mitmachen.
In Großbuchstaben schrieb er erst CARI, dann MARCO, ohne jedoch ihre beiden Namen miteinander zu verbinden. Cari versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen. Was hatte sie denn erwartet – und warum? Sie waren Freunde, oder? Nicht mehr.
Marco schien zu zögern. Dann malte er rasch ein schwarzes Herz um ihre beiden Namen. »Ein Herz«, sagte er.
Ihre Blicke trafen sich. Und schon war er wieder auf und davon, zeigte ihr die Felsspalten, durch die sie das Meer sehen konnte, zog sie zu einer schmalen Bank aus Stein und überredete einen jungen Italiener, mit Marcos Kamera ein Foto von ihnen zu machen. Als ob, dachte sie und lauschte auf die Wellen, die tief unten gegen die Felsen schlugen. Als ob …
Ja, Dan hatte ihr sehr viel gegeben. Aber nun wollte sie etwas, was nur ihr gehörte. »Es tut mir leid, Dan«, flüsterte sie bei sich.
Währenddessen hatte sich Aurelia auf Carmellas andere Seite gesetzt und drückte ihre Hand. »Um Himmels willen, nein.« Plötzlich war ihr offenbar eine Idee gekommen, und sie redete hastig auf Carmella ein.
Die junge Frau wandte sich um und sah Cari an. Ihre braunen Augen glänzten vor Tränen. »Du?«, fragte sie auf Englisch.
»Ich?« Cari runzelte die Stirn. Was ging hier vor?
»Carmella wurde betrogen«, erklärte Elena. »Es ist furchtbar.«
Um was in aller Welt handelte es sich wohl? Cari nickte mitfühlend.
»Der Couturier, der ihr Hochzeitskleid anfertigen sollte – er ist weg, spurlos verschwunden, er hat das Land offenbar verlassen.« Jedes Wort wurde mit ausgreifenden Handbewegungen unterstrichen.
»Bastardo«, fügte Carmella hinzu.
Dieses Wort verstand Cari.
»Daher habe ich überlegt …«, begann Aurelia.
Alle starrten Cari an, die sich wie ein Ausstellungsstück in einer italienischen Kunstgalerie vorkam.
»Genau das machst du doch, nicht wahr, meine Liebe? Das ist dein Metier – Kleider zu schneidern, speziell Hochzeitskleider.«
»Äh …« Ja, natürlich, aber sie hatte nicht erwartet, ihren Beruf in einem Land ausüben zu müssen, dessen Sprache sie nicht beherrschte. Sie wusste nicht, wo sie Materialien kaufen konnte, und hatte keine Ahnung, was man von ihr erwartete.
Plötzlich fuhr Carmella hoch und kniete sich vor Cari hin, die dunklen Augen flehend. »Per favore?« Sie ergriff Caris Hand.
»Könntest du vielleicht einspringen?«, fragte Aurelia, als bäte sie Cari nur darum, mal eben im Dorf ein paar Tomaten einzukaufen. »Du machst das sicher ganz wunderbar.«
Elena rang die Hände. »Wir wären dir wirklich sehr dankbar«, sagte sie.
»Hm …« Merkten sie denn gar nicht, was sie da von ihr verlangten? Sahen sie nicht, was für eine Verpflichtung sie damit eingehen würde? Zunächst einmal – wie viel Zeit würde es in Anspruch nehmen? Und dann alles andere, was damit zusammenhing …?
Drei Augenpaare waren auf sie gerichtet. Ihre neue Familie. Sie konnte die Bitte wohl kaum abschlagen, oder?
Heute Abend würden sie reden. Aurelia band ihre blaue Schürze um. Heute Abend würde sie kochen.
Sie hatte das Gefühl, als hätte sie eine Chance auf ein neues Leben bekommen. Der Tod ihrer Tochter war ein furchtbarer Schlag gewesen – natürlich. Doch die bittere Wahrheit sah so aus, dass sie praktisch ihr ganzes Leben ohne Tasmin verbracht hatte.
Aurelia wusch sich die Hände in der Spüle und trocknete sie an der Schürze ab. Wie sehr hatte sie gehofft, ihre Tochter eines Tages wiederzusehen! Vielleicht hätte sich die Verbitterung mit der Zeit gegeben. Aber es hatte nicht sein sollen … Schlimmer jedoch waren die Schuldgefühle gewesen. Und diese Schuldgefühle waren ihr nun endlich genommen worden – durch ihre Enkelin. Durch Cari, die nach Italien gekommen war, um sie zu suchen.
Aurelia nahm das Gemüse aus der Frischhaltebox, die auf dem Abtropfbrett stand. Zucchini, Strauchtomaten, Auberginen und Bohnen. Cari war ein Engel. Für sie bestand kein Zweifel, dass Tasmin Aurelia geliebt hatte, dass Tasmin ihr vergeben hatte. Warum sonst hätte sie den Bernsteinanhänger behalten? Und dein Foto? Diese Gewissheit strahlte ihr aus Caris lebhaften grünen Augen entgegen, die Aurelia nach Port Isaac zu Hester zurückversetzten. Einfach so. Sie entfernte den Stiel einer Aubergine. Sie
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