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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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hat dich geliebt. Ich weiß es. Und allmählich gestand Aurelia sich zu, es zu glauben. Falls sie eine Bestätigung brauchte, so fand sie sie in der friedlichen Atmosphäre, die nun im Labyrinth herrschte. Also – keine Schuldgefühle mehr. Ganz sicher. Sie fühlte sich befreit. Vollkommen frei.
    Aber so schön es war, Cari hierzuhaben, war Aurelia sich doch schmerzlich der Probleme mit Enrico bewusst. Sie hoffte, er würde bald zu Hause sein. Dann würde sie ihm einen Aperitif einschenken und ihn fragen, wie sein Tag gewesen war. Sie hatte seine Bedürfnisse zu lange vernachlässigt. Sie wollte nett zu ihm sein.
    Er war sehr freundlich zu ihrer Enkelin gewesen – ein charmanter Gastgeber. Keine Mühe war ihm zu viel gewesen. Aber das war Enrico, wie er sich nach außen hin präsentierte, der Geschäftsmann, der Vater und Lebenspartner. Doch was war mit dem Mann Enrico? Sie hielt inne und sah aus dem Fenster hinaus in den Park. Von hier aus konnte sie die Kräuter und Salate im Küchengarten sehen, die Kübel mit den Hortensien, die Terrasse und den Pool.
    Was war mit dem Mann Enrico – der ihr nachts im Bett den Rücken zuwandte, der seine leidenschaftlichen Sonaten mit heftigem Zorn spielte, der Aurelia mit eisiger Höflichkeit begegnete, wenn sie allein waren? Diese eisige Höflichkeit ließ Aurelias Herz gefrieren. Was spielte es schon für eine Rolle, warum oder wie Catarina gestorben war? Was spielte es für eine Rolle, wen er warum geliebt hatte? Sie lebten jetzt.
    Jetzt … Das reichhaltige Angebot an kleinen, festen Zucchini in Marias Laden hatte Aurelia auf die Idee gebracht, gefüllte Zucchini auf den Tisch zu bringen. Summend präparierte sie das Gemüse. Warum sollte sie nicht optimistisch sein? Viel hatte sich zwischen ihnen verändert, aber es gab keinen Grund, warum es sich nicht wieder zum Besseren wenden sollte. Mit den richtigen Worten, den passenden Gesten. Sie hatte sich von der Vergangenheit befreit, und das konnte Enrico auch – wie auch immer die Wahrheit aussehen mochte.
    Aurelia schaute auf die Uhr. Sie brauchten nur ein bisschen Zeit für sich. Cari war immer noch bei Elena – mit einem Anflug von Panik, doch Aurelia setzte großes Vertrauen in ihre Enkelin. Schließlich kam sie aus einer Künstlerfamilie. Sie würde Carmella ein Hochzeitskleid schneidern, das einer Prinzessin würdig war. Schon stellte sie sich Berge von Spitze und Chiffon vor, ein glänzendes Mieder aus Satin, natürlich in Weiß, das Carmellas dunkle Haut gut zur Geltung bringen würde. Cari würde sich gewiss noch eine Weile dort aufhalten. Elena würde darauf bestehen, dass sie zum Abendessen blieb, und nach Aurelias Erfahrung dauerten Elenas üppige Mahlzeiten mindestens zwei Stunden.
    Sie würden also allein sein. Autsch! Aurelia hatte nicht aufgepasst und sich mit dem scharfen Gemüsemesser geschnitten. Sie saugte an ihrem Finger. War es nicht erstaunlich, dass auch noch mit fünfundsiebzig das Blut kraftvoll durch die Adern strömte? Sie schmunzelte. Stefano war schon wieder auf Geschäftsreise, was Aurelia überraschte. Sie glaubte sich zu erinnern, er habe gesagt, er werde einige Monate nicht reisen. Hoffentlich kehrt er bald zurück, damit ich ihn Cari vorstellen kann, dachte sie.
    Sie goss ein wenig kalt gepresstes Olivenöl in eine Pfanne mit Kupferboden. Die erste Pressung sah aus wie flüssiges Gold. Wäre es nicht wunderbar, wenn … Nein. Sei nicht albern!, wies sie sich zurecht. Stefano hat dir doch erzählt, dass er in England ein Mädchen kennengelernt hat. Anscheinend ist es etwas Ernsteres, wenn er sich so viele Gedanken darüber macht …
    Die Klaviermusik überraschte sie. Sie hatte Enrico gar nicht hereinkommen hören. Aurelia hielt inne. Bildete sie es sich nur ein, oder spielte er viel sanfter, wehmütiger als sonst? Sein Spiel wirkte zugänglicher. Sie legte das Messer weg, wickelte ein Papiertuch um den Finger, glitt leise aus der Küche und schlich über die kühlen weißen Fliesen der Diele. Sie wollte ihn nicht stören und womöglich den Bann brechen.
    Enrico saß mit dem Rücken zu ihr auf dem Klavierhocker.
    Aurelia hörte zu und wartete.
    Mitten im Stück brach er ab.
    Aurelia machte einen Schritt auf ihn zu.
    Er fluchte leise.
    Aurelia hielt inne. Stille. Das gefiel ihr ganz und gar nicht. Es war die Stille vor dem Sturm.
    Ganz allmählich füllte ein anderer Laut den Raum – ein abgehackter, leiser, herzzerreißender Laut. Das Weinen eines Mannes. Ihres Mannes.
    Aurelia trat einen

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