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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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weiteren Schritt näher. Es schien ein ganz privater Schmerz zu sein, aber sie war schließlich seine Lebensgefährtin. Durfte, sollte sie nicht an seiner Trauer teilhaben?
    Er griff nach einem Foto, das in einem vergoldeten Rahmen auf dem Flügel stand. Es stand schon da, solange sich Aurelia erinnern konnte. Immer noch schluchzend, betrachtete er es.
    Aurelia fühlte den Impuls, zu ihm zu gehen. Nur noch wenige Schritte, und sie wäre bei ihm.
    Aber sie blieb wie angewurzelt stehen. Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit überkamen sie. Am liebsten wäre sie selbst in Tränen ausgebrochen. Sie dachte an Ruth und ihre Worte über die Liebe. Wer braucht sie schon? Nun, Aurelia brauchte sie. Was Enrico anging, hatte sich die Liebe sozusagen von hinten angeschlichen und sie überrascht. Aber sie war da. Irgendwann während all der Jahre als Freunde war sie auf leisen Sohlen gekommen, ohne dass Aurelia es bemerkt hatte. Sie liebte ihn. Und sie konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.
    Geräuschlos drehte sie sich um und schlich zurück in die Küche. Zum ersten Mal fühlte sie sich in diesem Haus wie ein Eindringling.
    Wie konnte sie ihm helfen – wenn das Foto, das er in der Hand hielt, gar nicht sie zeigte?
    Seine Tränen galten nicht Aurelia oder dem, was zwischen ihnen vorging. Es war Catarinas Foto, das er in Händen hielt. Sein Herz gehörte noch immer Catarina …

K
apitel 31

    Sie hatten sich in Elenas Wohnzimmer zurückgezogen, das von eierschalfarbenen Kerzen und einer zierlichen, mit Perlenschnüren versehenen Lampe beleuchtet wurde. Cari saß auf Elenas grünem Ledersofa und lauschte Carmellas und Elenas Unterhaltung. Carmella redete (und redete und redete …), und Elena übersetzte – in Kurzfassung, vermutete Cari.
    »Eine lange weiße Schleppe«, übersetzte Elena. Die Arme hinter dem Rücken, watschelte sie demonstrativ ein paar Schritte an ihnen vorüber. »Ein üppiger Schleier mit Pailletten und Blumen«, setzte sie hinzu und legte mit ausdrucksloser Miene die Hände über das Gesicht. »Da und dort eine Falte …« Sie zupfte an ihrem Rock. »Vereinzelte Volants. Eine Schärpe …«
    »Elena – Moment mal!« Cari atmete tief durch. Wie sollte sie sich verständlich machen? Ihre Kleider entsprachen ganz und gar nicht Carmellas Vorstellung. Sie entwarf Kleider anderer Art. Zudem ahmte sie niemals Entwürfe anderer Couturiers nach. Dieses Projekt würde zu einer Katastrophe ausarten, falls man von ihr erwartete, Carmellas ursprüngliche Idee umzusetzen.
    »Sì?« Elena und Carmella blickten sie erwartungsvoll an.
    »Eure Idee folgt der klassischen Linie …«, setzte Cari an. Sie beugte sich auf dem Sofa, das sie nicht freizugeben schien, nach vorne.
    Elena dolmetschte.
    »Und die ist ziemlich …« – durfte sie es aussprechen? – »… altmodisch.«
    Nachdem Elena Caris Bemerkung übersetzt hatte, zogen sowohl Elena als auch Carmella die Stirn kraus, woraufhin Cari beinahe entschuldigend die Hände hob. »Ich arbeite anders.«
    Nachdem die beiden Frauen sich besprochen hatten, nahm Elena lächelnd einen Stift und ein Blatt Papier, auf dem sie offensichtlich eine ihrer endlos langen Hochzeitslisten geschrieben hatte, und überreichte Cari beides.
    »Zeig uns, wie du es dir vorstellst«, sagte sie. »Zeig uns deinen Entwurf!«
    Als Aurelia das Abendessen servierte, schien Enrico sich etwas gefangen zu haben. Er war sich vermutlich gar nicht bewusst, dass seine Trauer nicht unbemerkt geblieben war. Sein durchdringendes Schluchzen versiegte ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Aurelia wieder in der Küche stand – das Haus war immerhin groß genug, um Privatsphäre zu gewährleisten.
    Während sie die gefüllten Zucchini zubereitete, durchlebte sie ein Wechselbad unterschiedlichster Gefühle. Zum einen nagte natürlich die Sorge um Enrico an ihr – ihn unglücklich zu sehen war für sie kaum erträglich, und sie hatte vermutlich noch dazu beigetragen, indem sie die Vergangenheit auf ihre typische Art erneut ans Licht gezerrt hatte. Hatten sie nicht den Weg gemeinsam fortgesetzt? Waren sie nicht Freunde gewesen, ehe sie ihn mit all ihren Fragen über Catarinas Tod bombardiert hatte?
    Enrico und sie hatten nie das Gefühl zarten Erwachens einer Liebe erfahren (erneut musste sie an Ruth denken). Sie waren nicht einmal mehr jung gewesen. Aber sie hatten die Gesellschaft des anderen genossen, waren immer gute Freunde geblieben, nicht wahr? Und nach ihrer Ehe mit Richard hatte sie erkannt, dass

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