Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
Freundschaft weit wertvoller war als Lust, Betörung, ja, selbst Liebe.
Doch hinter allem Zweifel gärte Enttäuschung, musste sie sich eingestehen. Sie schob die Zucchini zur Seite und wandte sich roten Paprikaschoten und einer Chilischote zu. Eine Traurigkeit, die ihr immer wieder bitter aufstieß. Enrico hatte nie einen Hehl aus seiner Zuneigung zu Catarina gemacht. Sie war sich immer im Klaren darüber gewesen, dass sie Catarina niemals das Wasser würde reichen können. Catarina war nun einmal seine große Liebe …
Als sie Zwiebeln hackte, traten ihr Tränen in die Augen, was sie auf die Zwiebelsäfte zurückführte … Und weshalb sollte Catarina auch nicht seine große Liebe sein dürfen? Sie waren schließlich verheiratet gewesen, hatten ein gemeinsames Kind. Und dennoch hatte Aurelia stets geglaubt, es sei auf ihr eigenes Zögern zurückzuführen, dass sich die Beziehung zu Enrico nicht hatte entwickeln können. Die Erkenntnis, dass es sich umgekehrt verhielt, hatte sie sehr getroffen.
Sie erhitzte bestes grünes Olivenöl in der Pfanne und fügte die Zutaten hinzu. Der Duft nach Zwiebeln, Chili und Paprika erfüllte die Küche. Vom Weingestell wählte sie eine Flasche fruchtigen, herrlichen Wein aus der Region, entkorkte sie und goss sich mit der einen Hand ein Glas ein, während sie mit der anderen einen Holzlöffel nahm und das Gemüse in der Pfanne wendete.
Was sollte sie nun tun? Welche Möglichkeiten blieben ihr? Sie hatte sich entschlossen, mit ihm über Richards Tod und ihre Beziehung zu reden. Andererseits konnten sie genauso gut so weitermachen wie bisher. Aber – konnten sie es tatsächlich? Oder …?
Als das Gemüse gar war, mischte sie es mit dem wohlschmeckenden Risottoreis, den sie bereits zuvor gekocht hatte. Köstlich! Andererseits konnte sie natürlich genauso gut so tun, als habe es diesen Nachmittag nicht gegeben, als habe sie ihn weder schluchzen gehört noch gesehen, wie er Catarinas Foto sichtlich liebevoll betrachtete.
Wie blauäugig sie doch gewesen war! Sie hatte das Labyrinth nach Catarinas Plänen angelegt – gegen seinen Rat – und damit die Erinnerungen wiederaufleben lassen. Sie hatte alles Erdenkliche getan, um Catarina lebendig zu erhalten.
Jetzt war es ihr klar. Aurelia beträufelte die gefüllten Zucchini mit Olivenöl, streute Parmesankäse darüber und schob sie in einer Backform in den Ofen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Sie entschloss sich, mit Enrico nur über Richard zu sprechen. Denn welche Zukunft gäbe es denn für sie beide, wenn sie nicht mehr miteinander redeten? Selbst ihre Freundschaft würde darüber zerbrechen. Die Freundschaft, die sie sich über all die Jahre hinweg bewahrt hatten.
Als das Essen fertig war, lächelte sie Enrico zu und setzte die auf weißen Tellern angerichteten gefüllten Zucchini auf dem Terrassentisch ab. Sofern es warm genug war, saßen sie immer dort.
Er wirkte überrascht. Hatte sie ihn so selten angelächelt?
»Enrico«, sagte sie, »können wir miteinander reden?«
Sie hatten geredet, gegessen und noch ein wenig mehr geredet. Elenas Wohnzimmer war mit Entwürfen übersät. Sie ging auf und ab und studierte die Skizzen, während Carmella barfuß auf dem Couchtisch stand und Cari ihre Maße nahm.
Die beiden Frauen diskutierten immer noch. Mittlerweile, zu Caris Vorteil, hauptsächlich auf Englisch mit gelegentlichem Rückfall ins Italienische, sobald der Meinungsaustausch die Gemüter zu sehr erhitzte.
»Das Kleid muss weiß sein«, erklärte Elena. »Das entspricht der Tradition.« Sie wandte sich an Cari. »Das ist anders als bei euch. Ihr Engländer seid nun mal sehr modern und kühn.«
Das kam auf die Betrachtungsweise an. Cari legte das Maßband zur Seite und notierte sich etwas auf dem kleinen Block.
»Aber hier sind wir eher konservativ.« Das heißt, wir bevorzugen den richtigen Weg , hätte Elena hinzufügen können, als sie nickte, um ihren Standpunkt zu untermauern.
Carmella zog die Nase kraus. »Weiß gefällt mir nicht«, wandte sie ein.
»Aber gestern hat es dir noch gefallen.«
»Gestern war gestern.« Verschmitzt grinste sie Cari an. »Heute ist heute.«
»Cremefarben wäre eine gute Alternative«, schlug Cari vor.
Carmella, so vermutete Cari, zählte zu der Sorte Frau, die für gewöhnlich das bekam, was sie wollte. Aber sie war bezaubernd und konnte auch über sich selbst lachen.
Im Laufe des Abends hatten sie sich vom konventionellen Entwurf, dem Elena zunächst den Vorzug gegeben hatte,
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