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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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viel unterwegs«, warf Aurelia ein. »Geschäftlich.« Aber wenn seine Frau tatsächlich so krank gewesen wäre, wäre er doch bestimmt zu Hause geblieben, oder etwa nicht?
    »Was blieb ihm auch anderes übrig?«, wehrte Elena ab. »Er musste schließlich Geld verdienen, damit seine Familie versorgt war, no ?«
    Aurelia zuckte verhalten mit den Schultern und nickte. Vermutlich war es so.
    »Wann immer es ihm möglich war, hat er Stefano zu mir gebracht«, fuhr Elena fort. »Aber hin und wieder hat sie ihm den Zugang zu seinem eigenen Haus verwehrt.«
    »Wirklich?« Aurelia war es ein Rätsel, wie eine zarte Frau wie Catarina das zu Wege gebracht haben mochte. Enrico war nicht nur ein Mann, sondern darüber hinaus besonders kräftig.
    Elena nickte grimmig. »Sie verbarrikadierte die Türen, verriegelte die Fensterläden und schrie Zeter und Mordio. Sie fluchte, sprach schreckliche Drohungen aus und weinte. Meine Güte, was hat sie geweint!«
    Aurelia war fassungslos. Was sagte Elena da?
    »Er ließ sie von verschiedenen Ärzten untersuchen, sie nahm aber die verschriebenen Medikamente nicht ein. Bis man sie sogar einweisen wollte …«
    »O nein!«, keuchte Aurelia.
    »Aber er wollte nichts davon wissen.« Sie ergriff Aurelias Hand. »Sie war meine Schwester«, fuhr sie fort, »aber glaub mir, sie hat dem Mann das Leben zur Hölle gemacht.«
    Cari, die die ganze Zeit schweigend zu ihren Füßen gesessen hatte, hob den Kopf. »Sie war im Begriff, sich selbst zu zerstören.«
    Aurelias Blick ruhte auf Cari. An wen mochte sie denken? An ihre Mutter?
    »Sì.« Seufzend ließ Elena die schmalen Schultern hängen. »Sie verbreitete Lügen, streute Gerüchte und lief Amok im eigenen Haus.«
    Aurelia kämpfte gegen dieses ihr vollkommen unbekannte Bild an, das Elena von Catarina skizzierte. Die beiden waren Schwestern – sicherlich würde Elena keine Lügen verbreiten? Zudem erklärte das alles: den Klatsch im Dorf, Enricos Sorge und seine Weigerung, ihren Tod anzusprechen …
    »Schließlich hat sie die Pillen geschluckt – alle auf einmal.«
    Aurelia erschauderte. »Sie hat sich umgebracht?«
    Elena nickte und legte den Arm um Aurelias Schultern. Cari schloss sich an. Der Duft des Jasmins erfüllte die Luft. Der Wohlgeruch Italiens. Das Aroma des Frühlings.
    »Ich bin froh, dass ihr es endlich wisst.« Elena schien ein Selbstgespräch zu führen. »Ich werde es ihm sagen. Es ist das Beste so.«
    Aurelia schwamm mit kräftigen Zügen auf die schwarzen Felsen zu – wie Ruder zerteilten ihre Arme die Wellen. Ihr Vater – Antonio. Ihre Tante – Catarina … Nach und nach begriff sie, was sich damals abgespielt hatte, und das Wissen darum machte sie schier benommen. Catarina hatte sich umgebracht. Die Arme!
    Es war bereits nach sechs, und die Luft verlor an Wärme. Als sie in das Wasser gewatet war, hatte dessen Kühle sie zunächst schaudern lassen. Doch nach und nach hatte sich ihr Körper an die Temperatur gewöhnt, und die ausholenden Bewegungen ihrer Arme und Beine hatten Energie in ihr entfacht und ihre Glieder gewärmt. Die bereits tief stehende Sonne ließ die vor ihr aus dem Wasser ragenden Felsen glänzen, während die Schaumkronen der ansteigenden Flut dagegen antosten.
    Aurelia drehte sich auf den Rücken. Wie wird es weitergehen?, fragte sie sich. Morgen heiraten Carmella und Gianmario; morgen werde ich von Menschen umgeben sein, werde ihnen zulächeln und mich mit ihnen unterhalten müssen. Viele Menschen. Enrico würde grollen. Und sie auch. Und wenn alles vorüber ist …? Sie wähnte sich beinahe in einem Zustand der Schwerelosigkeit. Wie wird es dann weitergehen?
    Ein Umriss im Wasser, eine schwarze, kaum erkennbare Silhouette veranlasste sie, sich hastig auf den Bauch zu drehen. Was? Wer? Anstatt weiterzuschwimmen, wechselte sie zum Wassertreten. Nichts. Niemand. Bis auf … Sie blinzelte in die Sonne. Luftblasen stiegen auf. Ihr Herz setzte einen Augenblick aus. Ihre Kehle war trocken, ihre Beine waren wie gelähmt. Sie versuchte sich zu helfen, indem sie wie ein Hund paddelte, um nicht gegen die Felsen getrieben zu werden. Sie musste zu dem, was vor ihr aufragte, Abstand gewinnen. Am besten ich kraule, dachte sie. Auf diese Weise komme ich schneller voran. Aber es war zu anstrengend.
    »Aurelia!« Ein Schrei, beinahe ein Keuchen.
    Sie drehte sich um. Haie, Dornfische (Dornfische konnten sich sogar durch Bootspaddel beißen, hatte ihr jemand erzählt) und Mörder würden wohl kaum ihren Namen rufen.

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