Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
seinen zerknitterten Leinenanzug. Cari konnte ihm das Vergnügen von den Augen ablesen. Doch auch Elenas Augen leuchteten, als er sie ansah. Hmm … War sie der einzige Mensch auf dieser Hochzeit, der sich von der romantischen Stimmung nicht anstecken ließ?
Sie nahm ihr Glas, schob sich durch elegant gekleidete Gäste und trat hinaus in den Park. Sie kam an Stefano vorbei, der sich neben dem Feigenbaum mit einem Gast unterhielt. Er machte den Eindruck, als wünsche er sich fort von hier. Viele Gäste hatten sich ins Freie begeben, und obwohl es erst achtzehn Uhr war, wirkten alle so, als hätten sie eine Nacht durchgefeiert. Cari schwitzte; sie fühlte sich klebrig und übermäßig satt. Italienische Hochzeiten waren wirklich ermüdend. Man sollte besser nur in Begleitung eines Menschen, den man liebte, daran teilnehmen.
»Cari.«
Hastig drehte sie sich um. Marco besaß offenbar ein Gespür für Überraschungen. Bitterböse funkelte sie ihn an. »Was hast du denn jetzt wieder vor? Du hast doch bekommen, was du wolltest!« Sie hatte seiner Großmutter schließlich die wertvolle Bernsteintriskele übergeben. Und das, obwohl sie die schützende Wärme vermisste, die das Schmuckstück an ihrem Hals verströmt hatte.
»Cari.« Er zog sie fort von den Menschen in Richtung des Labyrinths. »Sei mir nicht böse! Ich musste dich einfach sehen. Ich konnte es nicht ertragen, dass es zwischen uns aus ist. Einfach so.« Er schnippte mit den Fingern. »Ehe es überhaupt richtig angefangen hat.«
Seine Worte erschienen ihr wie das Echo ihres Empfindens, und sie konnte den Blick nicht von ihm wenden. Nur nicht schwach werden, Mädchen! Er trug einen dunklen Anzug und dazu ein taubenblaues Hemd, als sei er ein offiziell geladener Gast. Der Mann hatte Nerven! Nach all den lächerlichen Auseinandersetzungen mit den Bianchis stand er nun hier, als sei nichts gewesen. Hier – auf Carmellas Hochzeit.
»Nichts hat zwischen uns angefangen .« Sie äffte seinen Tonfall nach. Wie konnte er es bloß wagen, hier aufzutauchen?
»Nichts?«, gab er zurück. »Ist das wahr?«
Cari war es immer noch zu heiß, obgleich sie einen Sonnenhut und ein leichtes trägerloses Kleid in blassem Orange mit Seidenstola trug. Eigentlich war es viel zu warm, um sich so in Schale zu werfen. Und viel zu warm, um mit Marco zu streiten. »Marco, was ist los?« Sie wandte sich von ihm ab. »Hätte ich mich bei dir dafür bedanken sollen, dass du hinter mir hergeschnüffelt hast? Dass du mit mir geschlafen hast? Mich hast sitzenlassen? Hast du das etwa erwartet?«
Er trat einen Schritt auf sie zu. »Cari, ich habe versucht, es dir zu erklären.«
»Oh, ja, und ich begreife es ziemlich gut.« Nein, sie würde sich nicht von ihm um den Finger wickeln lassen. Einige Hochzeitsgäste tanzten mittlerweile sowohl im als auch außerhalb des Zeltes. Andere wiederum hatten ihre Getränke mit ins Freie genommen und spazierten nun plaudernd und lachend umher. Hier war man nirgendwo ungestört. Jeden Augenblick könnte ihn jemand erkennen und hinauswerfen. Ihn fragen, was er doch bitteschön auf einer Bianchi-Hochzeit zu suchen habe. »Aber jetzt hast du doch, was du wolltest«, sagte sie. »Also verschwinde!«
»Ah.« Er stand dicht neben ihr und machte keine Anstalten zu verschwinden. Im Gegenteil, er lockerte die Krawatte und öffnete den obersten Hemdenknopf.
Cari erstarrte. Er war schon jetzt viel zu sexy. Er zählte zu jener verwirrenden Sorte Mann, die sowohl in Jeans und Shorts als auch in einem Anzug gut aussahen. In einem Anzug aus den Vierzigerjahren … Sie musste an den Nachmittag in North Laine denken. Er in dem Anzug – wie James Dean. Sie in dem roten Kleid. Der Blick in den Spiegel. Ihr erster Kuss …
»Aber weißt du, Cari, das, was ich möchte, habe ich eben nicht. Noch nicht.«
Viel zu nahe … Er kommt mir viel zu nahe … Sie konnte den Duft seiner Haare riechen, jenen zitrusartigen Hauch, der seiner warmen Haut anzuhaften schien. »Was möchtest du?« Ihre Stimme war plötzlich rau und kraftlos. Aber sie wollte nicht schwach wirken, verflixt noch mal! Wo war denn plötzlich all ihr Zorn geblieben?
»Du weißt doch, dass ich es ehrlich meine.«
»Ach, wirklich?« Ihre Stimme klang ziemlich ruhig, während ihre Nerven gehörig flatterten.
»Ich habe dich immer …« – er zögerte – »… sehr attraktiv gefunden.«
»Wie schön für dich!« Demnach schien er es wenigstens nicht zu bereuen, dass er in jener Nacht auf dem Hügel mit ihr
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