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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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so gut, dass Alfonzo noch mehr von ihr übernahm und sie Ansehen als Künstlerin gewann. Sie lebte mit einem Mann zusammen, der sie in ihrem künstlerischen Schaffen und ihrer Unabhängigkeit unterstützte und das genaue Gegenteil zu Richard darstellte. Alles hätte wunderbar sein können, war es aber nicht.
    Während all dieser Jahre spazierte Aurelia nach dem Schwimmen häufig durch das mit Oleander und Jasmin bepflanzte Labyrinth. Es war der ideale Ort, um den Gedanken freien Lauf zu lassen. An einem Sommerabend wurde ihr klar, was ihr fehlte. Catarina (falls es tatsächlich Catarina und nicht Aurelias Einbildung war) war einfach verschwunden. Als habe Catarina, so stellte es sich Aurelia gern vor, ihre Reise beendet und schließlich in ihrem Haus und Garten Platz für Aurelia gemacht. Aber auch bei Enrico?
    Der endgültige Schritt schien sehr groß zu sein. Auch jetzt noch. Aurelia dachte daran, wie er sie geküsst hatte, bevor er in die Stadt gegangen war. Zart auf die Wange. Seine Hand hatte ihren Hals nur sanft berührt. Als würde er ihrer Liebe keine Zukunft mehr geben …
    Sie arbeitete unentwegt, teilte mit ihrem Schabmesser große Brocken leuchtender Farben, mit denen sie arbeiten wollte, führte den Pinsel flink über die Leinwand, als würde er aus eigener Energie angetrieben. Sie begann, indem sie große Farbflächen aussparte, verschmierte Violett und Grau mit dem Pinsel, dem Zipfel eines Lappens, den Fingern. War total versunken in ihre Arbeit, fand Ruhe in der Tätigkeit, die ihr bisher unbekannt gewesen war. Eine völlig neue Art der Befreiung.
    Zu Enrico hielt sie jedoch nach wie vor Distanz. Ihm alles zu geben erschien ihr nun doch zu viel. Until I am whole … Plötzlich erinnerte sie sich an die Zeile eines Gedichts, das vermutlich von John Donne stammte. Bis ich ganz geworden bin … Das Problem war, dass sie all die Schuldgefühle und den Groll noch immer empfand. Daran hatten auch die Jahre in Italien nichts geändert. Aurelia war als Künstlerin gewachsen und hatte Selbstwertgefühl entwickelt, das sie bei Richard nie gekannt hatte. Doch nach wie vor vermisste sie sie – unablässig. Der Schmerz ließ sich nicht stillen. Sie war ein Teil von ihr. Der Gradmesser ihrer Identität. Und sie würde Enrico erst ohne Vorbehalte gehören können, wenn sie das Gefühl hatte, wieder ganz geworden zu sein und den Schmerz überwunden zu haben.
    Als es zu dunkel wurde, brach sie ihre Arbeit ab. Aus der Nähe betrachtet wirkte das Gemälde wirr. Sie trat ein paar Schritte zurück und wartete, wie es sich entwickelte. Es brauchte Zeit. Keine Frage, es würde sich entfalten. Vielleicht sollte sie es in ihrem Atelier vor den Spiegel stellen, um eine neue Perspektive zu bekommen? Der Blick aus einem anderen Winkel öffnete einem stets die Augen.
    Sie lehnte sich zurück, erschöpft, aber ermutigt. Etwas hatte sich verändert. In ihr. Etwas wie Intuition hatte sich in ihr geregt. Sie konnte nicht glauben, dass sie sich so sehr hatte mitreißen lassen, so lange zu malen, und das Bild in einer Sitzung nahezu vollendet hatte. Es besaß nicht die Genauigkeit und die Feinheit ihrer Aquarelle. Es war tatsächlich eine völlig andere Kreation.
    Erneut schienen die Blätter des Oleanders im leisen Windhauch zu rascheln. Aurelia wartete. Wieder hatte sie das Gefühl, jemand sei in der Nähe. Nein, nicht Stefano, der das Labyrinth seiner Mutter schon lange nicht mehr betreten hatte und der, soweit sie wusste, nach wie vor in England war. Und ebenso wenig Enrico, der sich ohnehin kaum weiter als bis zu den Lorbeerbäumen wagte. Vermutlich lag es an den Erinnerungen. Erinnerungen an Catarina. Catarina würde nicht zurückkehren, davon war sie fest überzeugt. Wer konnte es also sein? Schon am Morgen hatte sie sich diese Frage gestellt. Sie verspürte keine Angst – das war wirklich seltsam. Aber wer mochte es sein?

K
apitel 8

    Cari sah auf ihre Uhr. Beinahe Mittag. Eine schwere Tragetasche hing von ihrer Schulter herab und schlug ständig gegen ihr Bein, als wolle sie sich bemerkbar machen. War es überhaupt richtig, die Sachen mitzubringen? Cari hatte immer noch ihre Zweifel.
    Wie stets am Wochenende herrschte dichter Verkehr. Tagesausflügler, Touristen sowie die Einwohner von Brighton waren unterwegs. Cari wohnte nur fünf Minuten zu Fuß entfernt, und es zog sie immer wieder hierher. Diese Gässchen waren etwas ganz Besonderes, Relikte des »ursprünglichen Brighton«, das einst – kaum vorstellbar – ein

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