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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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Fischerdorf gewesen war und nicht einmal im Traum damit gerechnet hatte, dass die Bevölkerungsexplosion es vollständig verändern würde. Mittlerweile galten diese Straßen als Einkaufsparadies für Wohlhabende. Cari lächelte in sich hinein. Die neben den alten Straßenlaternen an den Hauswänden montierten Schilder priesen Antiquitäten, Drucke, Edelsteine und Lederwaren an.
    Cari spazierte über das terrakottafarbene und graue Pflaster, vorbei an der Austernbar, auf den Platz zu, auf dem die Bistros und Bars im Sommer Tische und Stühle aufgestellt hatten. Heute spielte dort eine Jazzband, deren Musiker leuchtend grüne und pinkfarbene T-Shirts, Jacken und weiche Filzhüte trugen. Mit ihren sinnlichen und traurigen Rhythmen schienen sie die Luft zu erwärmen.
    Cari blieb stehen. Den Klang des Saxophons, der ihr durch und durch ging, liebte sie ganz besonders. »The Nearness of You«. Sie seufzte. Doch sie durfte jetzt nicht trödeln, schob die Tasche zurecht und ging weiter.
    Obwohl sie sich gern in diesem Teil von Brighton aufhielt, überkamen sie heute gemischte Gefühle, da sie jedes Mal kurz bei ihrer Mutter in der Galerie hineingeschaut hatte. Aber Tasmin war nicht mehr da. Keine Nähe – No Nearness of You . Nie wieder ein kurzer Besuch auf ein kühles Mineralwasser mit Eis und Limette, so kühl wie das Dekor in Edwards Galerie (weiß, weiß und noch mehr weiß); so kühl wie ihre Mutter in ihrer weißen Seidenhose oder ihren kurzen schwarzen Kostümen.
    Nein. Cari warf im Vorbeigehen einen prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild in einem der Schaufenster. Der Schmuckladen. Das nächste Mal würde sie einen anderen Weg nehmen. Bloß keine Gefühlsduselei. Ihre Mutter hatte Gründe für ihre Unnahbarkeit gehabt. Der Sound der Trompete, des Saxophons und des verführerischen Kontrabasses drang bis auf die andere Seite des Platzes. Cari hatte genug in Tasmins Tagebuch gelesen, um ihr Verhalten zu verstehen. Dennoch zögerte sie weiterzulesen, als befürchte sie eine Überdosis vielfältiger Gefühle. Sie las maximal einige Seiten am Tag, und das angespannt und ängstlich. Ob sie das Geheimnis würde lüften können? Was mochte sich hinter alldem verbergen? Und, schlimmer noch, wollte sie es tatsächlich wissen?
    Als sie an dem kleinen italienischen Restaurant neben der Galerie vorbeikam, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Stand dort nicht der junge Italiener, der sie in ihrem Laden in ein Gespräch verwickelt hatte? Sie hatte ihn so gut wie vergessen, da sie voll und ganz mit Tasmins Tod, Tasmins Leben, Tasmins Arbeit und Tasmins Geheimnissen beschäftigt war und sich daher auch nur selten im Laden aufhielt. Wenn überhaupt, dann meistens nur kurz, um einen Termin mit einer Kundin auf die folgende Woche zu verschieben und eine Notiz »Vorübergehend geschlossen« an die Tür zu heften. Dass sie Einbußen haben würde, war im Augenblick ihre geringste Sorge. Das Leben musste zwar weitergehen, aber noch nicht. Bitte, bitte noch nicht!
    Da war er also wieder. Sie hatten eine Fensterscheibe zwischen sich. Er trank Kaffee, stirnrunzelnd, den Oberkörper leicht nach vorn geneigt. Sie erinnerte sich noch gut an ihn und den starken Eindruck, den er bei ihr hinterlassen hatte. Es lag nicht allein an seinem dunklen Teint und seinem auffallend guten Aussehen, auch nicht an seiner Lebhaftigkeit. Es war seine Gesamterscheinung, die ihn so verführerisch machte. Sein Blick, die Art, wie er sprach, ja sogar, wie er seinen Kaffee trank.
    Sie musste unwillkürlich lächeln – über sich selbst. Das war vollkommen idiotisch! Im selben Augenblick hob er den Kopf. Ein eigenartiger Ausdruck huschte über sein Gesicht – nicht unbedingt Überraschung und auf keinen Fall ein Zeichen des Nichtwiedererkennens. Seine Reaktion war schwer zu deuten. Doch plötzlich grinste er, hob die Hand und winkte ihr zu. Sie winkte zurück und ging rasch weiter.
    Sie wollte nicht mit ihm reden. Nicht jetzt.
    Dennoch hatte sie sich sein Lächeln eingeprägt, als sie die Tür zur Galerie aufstieß. Würde sie ihn wiedersehen? Na ja, er wusste ja nun, wie er mit ihr Kontakt aufnehmen konnte …
    Trotz der Ausstellung – es gab immer eine – herrschte in der Galerie Stille. Für gewöhnlich wurden Bilder eines ortsansässigen Künstlers oder eines Fotografen gezeigt, da Edward Kunstschaffende aus Brighton unterstützte. Edward wollte als die Galerie der Brighton Lanes gelten. In London wäre er ein völlig unbedeutender Galerist unter vielen.

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