Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
Spalier neben der Terrassentür rankte.
»Luigi?« Er runzelte die Stirn. »Aus dem Dorf?«
Sie nickte.
»Aha.« Er ging ein paar Schritte weiter und trat dabei auf die Thymianzweige, die zwischen den Steinplatten wuchsen. Mit einem leisen Knacken, als würden sie protestieren, setzten sie ihren aromatischen Duft frei. Enrico hatte sich dem Pool zugewandt, die Hemdsärmel aufgekrempelt, die Hände in den Hosentaschen. Er wartete.
Aurelia straffte die Schultern. Jetzt mach keinen Rückzieher!, ermahnte sie sich.
»Er hat vorgeschlagen, ich sollte dich einmal fragen, wie Catarina gestorben ist.« Sie hörte, dass sich ihre Stimme fragend hob. Es folgte ein langes Schweigen. Sie nahm jetzt auch die Süße des Geißblatts wahr, die sich zusammen mit dem Geruch der trockenen, sandigen Erde und der frischen Seeluft zu dem berauschenden Duftgemisch vereinte, das für Ligurien typisch war. Heute Nacht herrschte in dem sonst so friedlichen Park eine angespannte Stille. Nun war es an ihr zu warten.
Endlich drehte sich Enrico zu ihr um. Sie versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten, aber sein Blick – oder ihr Blick? – war verschwommen. »Und was wollte er damit andeuten?« Er verzog den Mund. »Dass ich meine Frau umgebracht habe?«
»Natürlich nicht.« Aurelia wünschte sich plötzlich zurück ins Haus. Hier draußen in der Dunkelheit ging eine Intensität von Enrico aus, die ihr Angst einflößte. Und dennoch fühlte sie sich auf unerklärliche Weise davon – und von ihm – angezogen. Sie trat auf ihn zu. Diese Intensität kannte sie nicht an ihm, nur in seiner Musik war sie manchmal spürbar, in den Tönen, die er dem Flügel entlockte.
»Was dann?« Er packte sie fest am Arm und zog sie zu sich heran.
Sie zuckte zusammen. Noch nie hatte er sie so hart angefasst. »Es ist doch nur Dorfklatsch.« Vielleicht hätte sie lieber den Mund halten sollen.
»Was genau?«
Ihr war klar, dass sie es ihm erzählen musste. »Er hat gemeint, du hättest sie vernachlässigt«, sagte sie schließlich. »Und dass sie unglücklich war …«
»Ja?« Sein Griff verstärkte sich. Der Duft seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase. »Noch was?«
War das noch nicht genug? Sie spürte, wie sich ihr Körper versteifte.
»Was ist? Hast du jetzt Angst vor mir, ist es das? Nun sag schon!«
»He!« Sie schüttelte seine Hand ab. »Nein, ich habe keine Angst vor dir. Aber du tust mir weh.«
Er sah sie lange an. »Und was ist mit mir? Glaubst du etwa, du tust mir nicht weh?«
Sie hatte ihn verletzt. Dennoch gab es nun kein Zurück. Er musste alles hören. Sie starrte in die Tiefen des Pools. »Er hat behauptet, du hättest dich regelmäßig mit einer anderen Frau getroffen. Und wärst sogar bei ihr gewesen, als Catarina starb.«
Jetzt war es heraus. Es war schrecklich, jemanden in dieser Weise zu beschuldigen – geschweige denn den Lebenspartner, der sich einem gegenüber immer liebenswürdig und zuvorkommend verhalten hatte. Aber nicht ich beschuldige ihn, beruhigte sich Aurelia. Ich wiederhole nur, was Luigi gesagt hat. Und nun warte ich darauf, dass Enrico alles abstreitet.
»Ich verstehe.« Er wandte sich ab.
Ich verstehe? Sie trat wieder näher zu ihm. »Ja, und?«
Enrico wirbelte herum und sah sie an. »Ich habe meine Frau nicht umgebracht«, sagte er. »Ich habe sie geliebt.« Sein Blick war wie versteinert. Langsam ging er zurück ins Haus, die breiten Schultern leicht gebeugt.
Aurelia sah ihm nach. Drückten Schuldgefühle ihn nieder? Sie fühlte mit ihm. Was hatte sie gesagt? Was hatte sie getan? Und was hatte sie sich nur dabei gedacht? Was immer auch in der Vergangenheit geschehen sein mochte, sie lebten jetzt, und sie waren zusammen. Sie sollte dem Mann, der ihr so viel bedeutete, zur Seite stehen, statt ihn so mit der Vergangenheit zu konfrontieren.
Abrupt drehte sie sich um und machte sich automatisch auf den Weg zum Labyrinth. Sie überlegte nicht, wohin sie ging oder warum. Aber sie musste daran denken, dass er die Behauptung, es habe eine andere Frau gegeben, nicht bestritten hatte. Ebenso wenig wie die Anschuldigung, er sei mit ihr in der Nacht von Catarinas Tod zusammen gewesen.
Von wem würde sie die Wahrheit erfahren? Denn sie musste es wissen. Es war alles so lange her, und doch spürte Aurelia, dass es ohne dieses Wissen keine gemeinsame Zukunft, kein Vertrauen geben konnte. Und keine Liebe. Falls es also tatsächlich eine Andere gegeben hatte … Aurelia blieb bei den Lorbeerbäumen und dem Jasmin
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