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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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weitere Kundin trat ein. Es war die Frau aus dem Dorf, die immer nur Schwarz trug. Ein Schultertuch aus Spitze bedeckte den Kopf und den faltigen dunklen Hals. Ihr langes Gesicht war ernst.
    Zeit zu gehen. Aurelia packte ihre Einkäufe ein. Maria rollte genussvoll mit den Augen, und Aurelia hatte fast das Gefühl, sie müsse ihr ein Trinkgeld hinterlassen als Bezahlung für die erhaltenen Informationen. Jedenfalls würde sie später genügend Zeit haben, über all das nachzudenken – der Tag war noch lang, und nach dem, was sie eben gehört hatte, war ans Malen nicht mehr zu denken. Ach, Enrico …
    » Grazie , Maria«, sagte sie und reichte ihr einen Zehn-Euro-Schein. Sie würde dieser Sache auf den Grund gehen. Irgendwie.
    »Bitte kommen Sie doch herein.« Sanft zog Cari die alte Frau nach drinnen.
    Die blassen Augen der Besucherin unterzogen Cari einer eingehenden Prüfung. »Sie sind Tasmins Tochter, nehme ich an.«
    Cari seufzte tief. Sie hatte es doch gewusst! »Sie haben meine Mutter gekannt?« Dies hier war aber weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt für Gespräche – inmitten der Ausstellungsbesucher, die tranken, aßen und Smalltalk machten. Anklagend sah Tasmins Werk auf die Menschen und ihr bequemes Leben herab.
    Die Frau zögerte. Sie betrachtete das Foto, neben dem sie stand, und schauderte.
    Das ist es, was meine Mutter sich gewünscht hat, dachte Cari. Dass es die Leute bei diesem Anblick schaudert.
    »Ich habe Ihre Mutter nicht besonders gut gekannt«, sagte die Frau. »Nur als Kind. Sie war früher ab und an mit ihrer Mutter zu Besuch bei den Großeltern in Hertfordshire. Später bin ich dann nach Brighton gezogen, um ihrer Mutter zu helfen. Das war, nachdem Mistress Mary gestorben war, Gott hab sie selig.«
    »Mary?« Schlagartig erwachte Caris Interesse.
    »Das war Ihre Urgroßmutter. Den größten Teil meines Lebens habe ich für Mary gearbeitet. Und wenn man an eine Familie gewöhnt ist …« Sie seufzte. »Aber Mary war immer kränklich. Nach dem Krieg ist sie bettlägerig geworden und hat sich nie mehr richtig erholt.« Beim Gedanken daran schüttelte die Besucherin traurig den Kopf.
    »Sie haben für meine Urgroßmutter gearbeitet?« Wie alt mochte diese Frau dann sein? Achtzig? Neunzig? Cari nahm sie beim Arm und führte sie in die einzige einigermaßen ruhige Ecke der Galerie, wo ein leeres blaues Sofa stand. Sie musste unbedingt verhindern, dass die Frau wieder ging. Ein Leben lang hatte sie darauf gebrannt, all diese Dinge herauszufinden, und nun war die Gelegenheit endlich da.
    »Aber ja. Damals, als Ihre Großmutter noch klein war.« Mit einem erleichterten Ächzen ließ sich die Frau auf das Sofa sinken.
    »Meine Großmutter?« Cari hielt den Atem an.
    »Aurelia.«
    »Aurelia.« Cari wiederholte den Namen, ließ ihn sich auf der Zunge zergehen. »Aurelia.« Es klang vertraut und gleichzeitig geheimnisvoll.
    Die Frau nickte. »Ihre Großmutter Aurelia.«
    »Was für ein wunderschöner Name!« Cari erinnerte sich plötzlich wieder an ihre Manieren. »Oh, entschuldigen Sie bitte. Und Sie sind …?«
    »Dorrie Smith.« Sie streckte eine mit Altersflecken übersäte Hand aus. »Ich habe als Hausmädchen bei der Familie gelebt. Kochen, putzen, die Familie versorgen. Mit sechzehn habe ich angefangen.«
    Mit sechzehn … Cari ergriff die faltige, schwielige Hand und drückte sie fest. Sicher hatte diese Frau sich gut um die Familie gekümmert. »Sie waren auf der Beerdigung meiner Mutter.«
    »Ich habe die Todesanzeige im Argus gelesen. Ich wollte ihr die letzte Ehre erweisen.«
    Und ich wollte mit Ihnen reden, dachte Cari. Das will ich immer noch.
    Dorrie schien ihre Gedanken zu lesen. »Was genau möchten Sie wissen, meine Liebe?«
    Tja, was? Etwas über ihre Großmutter? Ihre Urgroßmutter? Cari wusste nicht, wo sie anfangen sollte. So viele Fragen schwirrten ihr im Kopf herum. Zu viele, um sie in einer überfüllten Kunstgalerie zu stellen, in der gerade die Fotografien ihrer Mutter gezeigt wurden. »Alles«, stieß sie hervor.
    »Cari?« Plötzlich stand Dan neben dem Sofa. Er sah verwirrt aus. »Wer ist das? Was machst du da? Da sind ein paar Leute, mit denen du dich eigentlich unterhalten solltest.«
    »Ich bin beschäftigt«, wies sie ihn ab. Ich rede mit der einzigen Person, die wirklich wichtig ist. Und wenn Tasmin noch hier wäre, wäre sie bestimmt einverstanden. Sie hat nie viel für die Anhänger der Kunstwelt übriggehabt. Cari betrachtete Dorrie, die sehr

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