Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
zerbrechlich wirkte. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee?«, murmelte sie.
Dorries Augen leuchteten auf, und sie ließ sich tiefer in die Polster sinken. »Dazu würde ich nicht Nein sagen.«
»Dan?« Cari stand auf und fasste ihn am Arm. »Könntest du uns etwas Tee bringen? Bitte, es ist wichtig.«
Sie merkte, dass er kurz mit sich kämpfte, ehe er nickte und verschwand. Gott sei Dank lichtete sich die Besucherschar bereits. Die Leute waren im Aufbruch begriffen.
Cari machte es sich wieder auf dem Sofa bequem. »Werden Sie mir alles erzählen?«, fragte sie. »Werden Sie mir von Mary und Aurelia erzählen?«
»Aber natürlich, meine Liebe.« Dorrie griff tief in ihre große, eckige Handtasche und holte ein zerknittertes Stück Papier hervor. »Ich gebe Ihnen meine Adresse. Wenn Sie Lust haben, können Sie mich gern besuchen kommen.«
»Und ob ich Lust dazu habe!«
Dorries Schrift neigte sich zur Seite wie die eines Kindes. »Dann hat Ihnen Ihre Mutter wohl nie viel über Ihre Familie erzählt, meine Liebe?«
»Rein gar nichts.« Cari musste an sich halten, um Dorrie das Stück Papier nicht aus der Hand zu reißen. »Ich habe nicht einmal den Namen meiner Großmutter gekannt.«
Dorrie nickte. »Ihre Mutter hatte gern Geheimnisse.« Sie beugte sich vor und tippte Cari mit einem knochigen Finger aufs Knie. »Aber wissen Sie, wem Sie nachschlagen, meine Liebe?«
»Nein.« Cari wartete. Mary? Aurelia? Wem wohl?
»Hester«, sagte Dorrie. »Sie haben ihr Haar, meine Liebe. Kastanienbraun.« Sie kicherte. »Nicht wie die anderen. Die waren alle so blond wie ein Weizenfeld.«
»Wer?« Cari hielt den Atem an. Das war beinahe zu viel. »Wer war Hester?«
Dorries Blick wurde abwesend, als reise sie in die Vergangenheit. »Wie ich schon sagte, ich war fast selbst noch ein Kind«, flüsterte sie. »Aber sie sind manchmal nach Cornwall gefahren, um Hester zu besuchen, als Aurelia noch klein war.«
Cari hatte einen Geistesblitz. »Aurelias Großmutter?«, murmelte sie. »Marys Mutter?«
Dorrie nickte. »Sie haben gedacht, sie sei im Krieg umgekommen«, meinte sie. »Das wollte er jedenfalls den Leuten weismachen.«
Cari lehnte sich vor, damit ihr kein Wort entging. Sie fürchtete, den Zusammenhang zu verlieren, nicht alle Einzelheiten ihrer kostbaren Familiengeschichte zu erfassen. »Aber sie ist damals gar nicht gestorben?«
»Nein, erst 1961.« Dorrie schnalzte mit der Zunge. »Mary hat es nicht gewusst, Gott hab sie selig. Dass sie früher sterben musste als die eigene Mutter. Aber Aurelia …«
»Ja?« Cari wollte mehr über Aurelia erfahren.
»Sie konnte damit umgehen. Aurelia war immer ein tapferes kleines Ding.« Sie seufzte. »Ich werde nie verstehen, warum sie es so lange mit ihm ausgehalten hat.«
Mit ihm? Cari war verwirrt. Dorrie hatte Marys Ehemann bisher kaum erwähnt, aber nun schien sie sich auf einen anderen Mann zu beziehen. Konnte es Aurelias Mann sein, ihr Großvater, der Vater, den Tasmin so abgöttisch geliebt hatte?
Dan brachte den Tee. Cari reichte eine Tasse an Dorrie weiter, die Zucker hinzufügte und mit zitternder Hand gedankenverloren umrührte. »Es war mir ein Bedürfnis, Sie kennenzulernen«, gestand sie.
Cari tätschelte ihr die Schulter. »Ich bin sehr froh darüber«, bestätigte sie. »Ich glaube, Mum hat eine Menge Erinnerungen ausgeblendet – wo doch ihre Eltern so früh gestorben sind und so.«
»Gestorben?« Dorries Kopf fuhr hoch. »Aurelia ist tot, wollen Sie das damit sagen?« Die milchigen Augen füllten sich mit Tränen.
»Aber ja.« Cari war gerührt von so viel Anteilnahme. »Sie ist bereits vor meiner Geburt gestorben, wissen Sie.«
Dorries Tasse klirrte alarmierend auf der Untertasse. »Nein, ganz sicher nicht.« Sie sah Cari fest an. »Sie ist 1974 nach Italien gegangen. Das hat sie getan.«
Cari dachte an das Tagebuch. »Aber bald darauf ist sie gestorben«, entgegnete sie und wünschte sich, sie könnte es ihr schonender beibringen.
»Unsinn!«, erwiderte Dorrie energisch und nahm einen großen Schluck Tee. »Vor nicht ganz fünf Jahren habe ich Ihre Mutter in der North Street getroffen, und da hat sie es mir selbst erzählt.«
»Ihnen was erzählt?«
»Sie hat gesagt, dass ihre Mutter immer noch in Italien lebt. Und dass sie gerade einen Brief von ihr bekommen hat.«
Cari verschlug es die Sprache. Aurelia hatte an Tasmin geschrieben? Wie war das möglich?
»Aber Ihre Mutter meinte, sie würde die Briefe nie beantworten.« Dorrie stellte die
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