Das Erbe des Blutes - Roman
eigentlich im ganzen Haus, zeigte Foster auf seiner Hochzeit, wie er neben seinem Trauzeugen und besten Freund Charlie steht und derart unbekümmert grinst, dass er sich selbst nicht wiedererkannte. Sie waren unzertrennlich gewesen.
Er blickte sich im Raum um. Vor sieben Jahren war er eingezogen, aber es sah immer noch so aus, als würde er zur Miete wohnen.
Er dachte über den Tag nach, den Mord und die Leiche. Dann kam ihm Barnes in den Sinn. Er hatte ihn gefragt, ob er seine eigene Familiengeschichte kenne. Foster kannte sie
nicht. Das hatte er ihm auch gesagt. Warum auch? Doch Barnes’ Frage hatte die Erinnerung an seinen Vater wieder lebendig werden lassen. An seine letzten Tage. Das war die Familiengeschichte, die für ihn zählte.
Er ging zum Sekretär in der gegenüberliegenden Zimmerecke, wo sein Vater immer über den Papieren gesessen hatte: mit der Brille ganz vorn auf der Nase, einer Zigarette auf dem Aschenbecherrand und spiralförmig aufsteigendem Rauch. Zum ersten Mal seit Jahren öffnete er nun die Klappe und ließ so die Vergangenheit ans Licht: ein Becher mit den Stiften seines Vaters, ein halb aufgebrauchter Schreibblock, ein Briefbeschwerer von der Metropolitan Police, auf dem die Dienstzeit von 1954 bis 1988 vermerkt war, ein Brieföffner in Form eines Schwerts und ein Foto, das Foster in Shorts zusammen mit seiner Mum in Camber Sands zeigte. Er starrte es einen Augenblick an, dann schloss er den Sekretär wieder, schob erneut einen Riegel vor die Vergangenheit.
Er ließ sich auf das Sofa fallen und schaltete den Fernseher ein. Den Ton stellte er sofort ab. Trotz seiner Müdigkeit hatte er noch nicht die erforderliche Bettschwere. Er musste noch abschalten, sich von den im Kopf herumschwirrenden Gedanken freimachen.
Sie hatten nichts in der Hand. Es gab nichts, was auf den Killer hinwies: keine Spur, keine Waffe. Zeugen waren auch noch nicht aufgetaucht. Es existierte kein auf der Hand liegendes Motiv. Sie hatten einen auf dem Brustkorb eingeritzten Hinweis, eine Nummer auf dem Handy und zwei fehlende abgetrennte Hände. Mehr nicht. Sie suchten immer noch nach einem Anhaltspunkt. Foster wollte die Information, das Detail finden, die den Schalter umlegen und die Ermittlungen erhellen würde.
Im Haus herrschte Stille. Nur ab und zu hörte man eine Diele knarren oder das Klopfen eines in die Jahre gekommenen Heizkörpers. Erste Regentropfen klatschten gegen das Erkerfenster. Foster nahm noch einen kräftigen Schluck Wein und ging dann zurück in die Küche, um sich Nachschub zu besorgen. Er erkannte die zinnoberrote Beschriftung eines Château Petrus, leider eine Flasche aus den 1980er Jahren, die er verglichen mit den komplexen anderen Jahrgängen ein wenig dicht fand, doch genau deshalb war es einer seiner Lieblingsweine aus Vaters Sammlung. Wer will schon einen Wein, der immer gleich schmeckt? Er jedenfalls nicht, nicht zuletzt deshalb, weil unten noch weitere sechs Jahrgänge ihrer Verkostung harrten.
Der Wein tat ihm gut, ließ alles unschärfer erscheinen. Er sah sich nach einer Beschäftigung um, die ihm neben dem Wein helfen würde, sich von den Ereignissen des Tages abzulenken, damit er Schlaf fand, morgens dann aufwachen und den Fall neu anpacken konnte. Er saß am Küchentisch und nahm seinen im Schlafmodus befindlichen Computer in Betrieb, einen schnittigen silberfarbenen Laptop. Dann entkorkte er die Château-Petrus-Flasche und goss sich das Glas voll, ohne den Wein vorher atmen zu lassen - Weinliebhabern ein Graus. Ihm war bewusst, dass er sich für Gelegenheiten wie diese weniger teure, leichte Weine zulegen sollte, aber er vergaß es immer wieder. Er schaute auf die Wanduhr, die kurz vor elf anzeigte.
Der Computer war hochgefahren. Er öffnete seine Internetverbindung und befand sich direkt im Netz. Jetzt stellte sich die Frage, wonach er eigentlich suchen solle. Keine seiner Lieblingsablenkungen sagte ihm zu: Formel-1-Webseiten, Autohändler und -hersteller von Luxuswagen und das Durch-den-Kakao-Ziehen von neuen Webseiten. Er sah
nach neuen Mails, fand aber nur unerbetene Angebote zur Penisvergrößerung. Beim Hin- und Herüberlegen traten die Bilder des Tages wieder vor sein geistiges Auge.
Vor allem ein Detail: Warum brachte jemand einen Menschen um und trennte ihm dann auch noch bei lebendigem Leib die Hände ab, wenn dem Opfer nicht größtmöglicher Schmerz zugefügt werden sollte? Jemand musste Darbyshire abgrundtief gehasst haben.
Sein Handy klingelte, es
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