Das Erbe des Greifen
anstrengte. »Jeder andere Gegner würde nunmehr aufgeben, doch nicht Belior. Er will die Krone haben, und es interessiert ihn wenig, wie viele Leben dies noch kosten wird. Ihr habt ihm widerstanden, das kann er nicht dulden. Wenn wir ihm das nächste Mal gegenüberstehen, wird er uns zu zertreten versuchen!«
»Genau dies gilt es zu verhindern«, erwiderte Pulver ruhig. »Wie können wir ihn besiegen?«
»Besiegen?«, lachte Hendriks bitter auf. »Niemand konnte ihn je besiegen!«
»Dann wird es Zeit dafür«, ließ sich nun Meliande vernehmen. Jedes Mal, wenn Garret die Hüterin sah, die über Jahrhunderte hinweg das alte Depot mit den verlorenen Schätzen Lytars bewacht hatte, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Das war sogar schon Vanessa aufgefallen, die ihn auch gefragt hatte, warum er der Hüterin auswich. Aber wie hätte ihr Garret erklären sollen, dass er sich nur noch allzu gut daran erinnerte, wie er die braunen und verbrannten Knochen Meliandes in einem Sack zum Depot zurückgebracht hatte. Und wie die meisten Hüter, bis auf Barius, ihr Leben in einem Beschwörungsritual dafür gegeben hatten, dass Barius die Hüterin wieder ins Leben zurückholen konnte. Meliande schien nun kaum mehr als ein Dutzend und vier Jahre zu zählen, nur wenn man ihr in die Augen blickte, konnte man erkennen, dass sie in Wirklichkeit älter war. Wie sollte Garret Vanessa erklären, dass ihm die Auferstehung der Hüterin weitaus unverständlicher und unheimlicher erschien als die Tatsache, dass ein magischer Schwur einen Menschen noch weit über den Tod hinaus ans Leben binden konnte?
Schwere Schritte rissen Garret aus seinen Gedanken. Es war Ralik, Argors Vater, der nun neben Tarlon und Garret stehen blieb.
»Er liegt nicht auf dem Platz«, begann Ralik unvermittelt. »Es muss ihn in die See hinaus gespült haben.«
»Argor hasst das Wasser«, sagte Garret und biss sich im nächsten Moment auf die Zunge.
Doch Ralik nickte nur und stapfte an ihm vorbei ins Zelt, in dem sich alle erhoben, als der Zwerg eintrat.
»Wenn wir ihn besiegen wollen«, sagte Ralik kalt und legte den schweren Hammer auf den Tisch, während er nach einem Bierhumpen griff, »dann können wir das nicht alleine.« Er nahm einen Schluck Bier, verzog das Gesicht und stellte den Humpen mit einem vorwurfsvollem Blick in Richtung Meister Brauns wieder ab. »Wenn wir ihn besiegen wollen«, wiederholte er, »brauchen wir Verbündete.« Er nahm seinen Helm ab und legte ihn neben den Hammer. Seine Augen suchten und fanden ein anderes Augenpaar, meergrün und dem einer Katze nicht unähnlich.
»Ihr habt uns die ganze Zeit über beobachtet und über uns gewacht, oder soll ich besser sagen bewacht?«, fuhr er nun vorwurfsvoll an die Sera Bardin gewandt fort, die in ihrem schwarzen Ledergewand nicht weniger bedrohlich wirkte als der gepanzerte Zwerg. Zwar war sie zierlich und nicht besonders groß, doch ein Blick in ihr fein gezeichnetes Gesicht, und ein jeder wusste, dass man sie nicht unterschätzen durfte.
»Ihr allein kanntet von Anfang an die ganze Geschichte um die Vergangenheit Alt Lytars. Und Ihr wisst auch genau, was nun zu tun ist. Auch die Sera Meliande weiß es. Aber sie ist zu höflich, um Euch daran zu erinnern. Vielleicht glaubt Ihr aber auch, dass die alten Verpflichtungen nicht mehr gelten. Doch ich glaube nicht, dass es sich so verhält, nicht wahr, Sera?«
»Was wollt Ihr damit andeuten?«, fragte die Bardin nun mit ihrer weichen, melodischen Stimme, die schon so viele Generationen von Dorfbewohnern verzaubert hatte.
»Andeuten will ich gar nichts«, erwiderte der Zwerg und sah nun zu Pulver hinüber, der langsam nickte. »Ich fordere von Euch. Ich fordere, dass Ihr endlich anerkennt, dass sich die Menschen Lytaras, die Nachkommen Lytars, verändert haben. Ich fordere, dass Ihr zu Eurem Versprechen steht. Ich fordere im Namen des Greifen die Allianz ein, die zwischen dem Greifen und dem Volk der Elfen besteht.«
Die Bardin erhob sich.
»Die Allianz wurde schon vor langer Zeit aufgekündigt. Es gibt nichts mehr einzufordern, Radmacher. Ihr wisst nicht, wovon Ihr sprecht.«
»Ich weiß es nicht?«, fragte der Zwerg grimmig, und seine buschigen Augenbrauen hoben sich. Sein Blick traf nun auf den der Hüterin Meliande, die ihn überrascht musterte. »Vorher wusste Belior nicht, dass wir besitzen, was er haben will. Jetzt weiß er es. Meint Ihr wirklich, er wird Ruhe geben, bevor er die Krone nicht in seinen Händen hält?«
»Niemand weiß,
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