Das Erbe des Vaters
kündigte, und Romy übernahm selbst seinen Posten, einerseits um das Gehalt für einen Geschäftsführer zu sparen, andererseits weil sie sich einen täglichen Überblick über den Betrieb verschaffen wollte. Teresa ging, um zu heiraten, und Max zog sich in den Ruhestand zurück. Eine kleine Schar anderer Angestellter kündigte ebenfalls, Romy vermutete, daß diese Leute nicht unter einer jungen Frau arbeiten wollten, die vor ein paar Jahren noch Zimmermädchen im Hotel gewesen war. Von den Mitarbeitern, die im Trelawney gewesen waren, als Romy dort angefangen hatte, blieben nur ungefähr ein Dutzend.
Sie stellte neue Leute ein, ließ aber einige Posten unbesetzt. Das Trelawney hatte immer zuviel Personal gehabt; sie konnten gut mit weniger Leuten auskommen. Der erste Winter war nicht einfach: Danny war noch so klein, und es quälte sie, an Jem zu denken, der eingesperrt in einer Zelle saß. Im Hotel gingen die Buchungen wegen der Ölknappheit, die der Sueskrise folgte, zurück, und sie hatte mit Personalproblemen und ihrer eigenen Unerfahrenheit zu kämpfen. Ab und zu meinte sie, auf einer trübe erleuchteten Treppe oder in den Schatten hinter ihrem Schreibtisch im Büro Mrs. Plummers Geist zu sehen. Sie arbeitete nicht selten zwölf Stunden und mehr am Tag und fühlte sich häufig erschöpft und überfordert. Oft fürchtete sie, Mrs. Plummer nicht gerecht werden zu können; fürchtete, das Trelawney würde schließen müssen, und sie würde das Vertrauen, das Mrs. Plummer in sie gesetzt hatte, enttäuschen.
Manchmal saß sie, den Kopf in die Hände gestützt, spätabends bei geschlossener Tür am Schreibtisch in ihrem Büro und versuchte, sich von den unaufhörlichen Forderungen des täglichen Geschäftsbetriebs zu befreien. Sie fragte sich, was Mrs. Plummer angesichts der gleichen Probleme getan hätte. Manchmal spürte sie beinahe Mrs. Plummers Präsenz, meinte die vertrauten Gerüche ihres Parfums und ihrer Zigaretten wahrzunehmen. Die Düfte von Elizabeth Ardens Blue Grass und von Churchman’s-King-Size-Zigaretten vermengten sich in ihrer Erinnerung und beruhigten sie, halfen ihr, klarer zu denken.
Am Anfang machte sie Fehler. In ihrer Panik angesichts der sinkenden Einkünfte des Hotels unterliefen ihr Doppelbuchungen für die Repräsentations- und Konferenzräume. Bei Materialbestellungen vertat sie sich in den Mengen, so daß sie einmal mehr Kartons mit Hotelbriefpapier geliefert bekamen, als sie Schränke zur Aufbewahrung hatten, und ein andermal bestellte sich viel zuwenig Seife, so daß sie Carol im Taxi zu Selfridges schicken mußte, um noch welche zu besorgen. Aber sie lernte. Sie hatte ja immer schnell gelernt. Und sie schöpfte aus ihren eigenen Erfahrungen als Angestellte. Sie war mit der Arbeit eines Zimmermädchens oder einer Sekretärin ebenso vertraut wie mit der einer Küchenhilfe oder einer Bardame. Sie wußte, daß sie ihre Angestellten mit Respekt behandeln mußte, wenn sie sich ihren Respekt erwerben wollte. Weder ihren Leuten noch den Hotelgästen gegenüber verlor sie je die Beherrschung. Sie brauchte nur an Evelyn Daubeny zu denken und sich ins Gedächtnis zu rufen, was für einen Preis sie für wenige im Zorn gesprochene Worte bezahlt hatte. Sie lernte, ihre Autorität geltend zu machen, wenn es notwendig war: Als sie das erste Mal einen unehrlichen Barkeeper und wenig später ein nachlässiges Zimmermädchen zur Rede stellte, zitterten ihr unter dem Schreibtisch die Knie, aber sie zwang sich, so kühl und bestimmt wie Mrs. Plummer aufzutreten, und sah den Barkeeper blaß werden und das Zimmermädchen erröten.
Das Trelawney überlebte. Besser noch – in dem Maß, wie sich die wirtschaftliche Situation entspannte, begannen die Gewinne wieder zu wachsen. Romy fühlte sich mit jedem Tag ein wenig sicherer, lange nicht mehr so gehetzt. Sie ging daran, Veränderungen vorzunehmen – kleine zuerst: Sie kaufte einen Fernsehapparat für den Salon, sorgte für eine Auflockerung der steifen Förmlichkeit im Restaurant. Dann begann sie, ehrgeizigere Pläne zu schmieden, die es ihr erlauben würden, dem Hotel ihren eigenen Stempel aufzudrücken.
Auch jetzt noch fühlte sie sich überwältigt bei dem Gedanken, daß sie, Romy Cole aus der Sozialsiedlung in Stratton, Eigentümerin des Trelawney-Hotels war. Auch jetzt noch war sie jedesmal ungeheuer stolz, wenn sie in das mit schwarzweißem Marmor geflieste Foyer trat. Und auch jetzt noch ertappte sie sich manchmal dabei, daß sie mit der
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