Das Erbe des Vaters
Hand über einen glänzenden Tisch oder eine vergoldete Lampe strich, als müßte sie sich durch die Berührung davon überzeugen, daß diese Dinge wirklich ihr gehörten.
Wie das Hotel veränderte auch sie sich. Sie war aus der Einzimmerwohnung in Belsize Park in Mrs. Plummers ehemalige Räume im Trelawney übergesiedelt. Jetzt hatte sie ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Bad und eine kleine Küche, die Höhe des Luxus, wie ihr schien. Die anderen drei Räume hatte sie Danny und Sarah überlassen. Die Böden des Appartements waren mit Spannteppichen ausgelegt, die Zimmer mit tiefen Sesseln und bequemen Sofas ausstaffiert, und vor den Fenstern hingen geraffte Samtvorhänge. Sie hatte einen Kühlschrank und ein Fernsehgerät. Ihre Kleider gab sie in die Wäscherei oder Reinigung; eine Zugehfrau, die täglich kam, hielt das Appartement sauber und machte ihr Bett.
Sie ließ sich die Haare wachsen, so daß sie sie hochstecken konnte. Sie rangierte alle ihre alten Sachen aus und kaufte sich dafür neue Kleider, Mäntel und Ensembles bei Selfridges und Dickens & Jones. Und natürlich bei Harrods. Jetzt waren ihre Abendkleider aus Seide und Satin, mit feinen Stickereien oder winzigen Perlen, und hatten Oberteile mit Stäbchen und Wespentaillen. Jetzt trug sie 10-Denier-Nylonstrümpfe und hatte zu jedem Paar Schuhe die passenden Handschuhe und Taschen. Sie trug Jetketten um den Hals und Perlen in den Ohren. Sie kaufte ihren Lippenstift nicht mehr im Drogeriemarkt, sondern nahm nur noch Helena Rubinstein oder Elizabeth Arden.
Trotzdem hatte sie, wenn sie ehrlich sein sollte, eine heimliche Vorliebe für die weiten rundgeschnittenen Röcke, die sie immer bei Bazaar in der King’s Road gekauft hatte. Sie fühlte sich wohler in ihnen – nicht so eingeschnürt – und aus irgendeinem Grund jünger. Manchmal stellte sie sich vor, sie käme in einem Mary-Quant-Röckchen, schwarzer Strumpfhose und Ballerinaschuhen auf eine Party. Wie da die Brauen hochgezogen und die Lippen sich kräuseln würden!
Anfangs, als sie noch unter dem Schock des Verlusts von Caleb und Mrs. Plummer stand und mit ihren neuen Aufgaben, der Betreuung Dannys und der Führung des Hotels, noch nicht vertraut war, war sie froh, wenn sie es über den Tag schaffte und spätabends dankbar für Ruhe und Frieden in ihr Bett sinken konnte. Aber mit der Zeit, als das Leben etwas leichter wurde, begann sie wieder die Lücken zu spüren. Nur schienen die Lücken jetzt gähnende Abgründe zu sein. In den ersten Monaten nach der Trennung von Caleb glaubte sie, ihn überall zu sehen. Auf einer bevölkerten Straße oder in der Untergrundbahn, in den Kneipen und Cafés von Soho: dem Carriage and Horses, dem Moka, dem Heaven and Hell. Aber es war nie Caleb, und jede Enttäuschung bereitete ihr Schmerz und hinterließ eine Narbe.
Nach einiger Zeit hatte sie von Jake erfahren, daß Caleb ins Ausland gegangen war. Ein Teil ihres Schmerzes über die Trennung wurde von Zorn verdrängt. Daß er so hart über sie gerichtet hatte; daß er so unversöhnlich war; daß er sie verlassen hatte, als sie ihn am meisten gebraucht hatte, und sie den Schmerz über Jems Inhaftierung und Mrs. Plummers Tod allein durchstehen ließ. Du brauchst keinen Menschen , hatte er zu ihr gesagt. Vielleicht hatte er recht gehabt. Sie kam ja wirklich ganz gut zurecht. Kam glänzend zurecht ohne ihn.
Und es war auch nicht so, daß sie keine Angebote bekam. Sie ließ sich ausführen, verwöhnen, umwerben. Es tat gut, sich begehrt zu fühlen, zu sehen, daß Männer um ihre Gunst wetteiferten und daß sie als Eigentümerin des Trelawney gesellschaftlich anerkannt war. Die Männer, mit denen sie jetzt ausging, führten sie nicht in verrauchte Kneipen oder auf Friedhöfe, wo der eisige Wind einen beinahe wegblies; sie besuchten mit ihr elegante Cocktailpartys oder luden sie zum Abendessen in teure französische Restaurants ein oder begleiteten sie ins Theater, in die Oper oder ins Konzert. Auch da lernte sie: daß man zwischen den Sätzen einer Symphonie nicht applaudierte; daß man, müde von einem langen Tag, nicht einfach einnicken durfte, wenn auf der Bühne eine Sopranistin eine endlose Arie trällerte. Sie lernte Gielgud von Olivier zu unterscheiden und Mahler von Mozart. Sie erwarb sich einen gesellschaftlichen Schliff, der zu den eleganten Designerkleidern und den Mohairmänteln paßte.
Sie hatte alles, was das Herz begehrte. Aber manchmal wachte sie nachts auf und hörte eine Stimme: Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher