Das Erbe des Vaters
»Ich wollte nicht, daß du was davon erfährst.«
Sie mußte sich erneut abwenden, aber sie konnte nicht verhindern, daß er die Scham in ihrem Blick sah.
»Hattest du Angst, ich würde dich dafür verachten?« fragte er langsam. »Dich verurteilen?«
Sie schaute zur Zimmerdecke hinauf. »Ich war einsam«, sagte sie leise. »Weißt du, ich habe hier keine Freunde gefunden. Die Mädchen im Laden sind alle wirklich nett, aber die meisten sind gerade mal halb so alt wie ich. Und die Nachbarn machen die Tür hinter sich zu und fertig.«
Zum erstenmal fielen ihm die kleinen Fältchen rund um das gesunde Augen auf und die Schlaffheit ihrer Haut. Am liebsten hätte er geweint. »Du hättest mich anrufen sollen, Mama. Wenn du einsam warst, hättest du mich anrufen sollen.«
»Ich wollte dich nicht belasten, Schatz. Und außerdem –« sie sah ihn an – »war es ja zwischen uns nicht mehr so wie früher. Seit du das mit Daubeny herausbekommen hattest, war alles anders.« Sie schwieg einen Moment, dann fügte sie hinzu: »Damals war ich auch einsam, Caleb. Archie war nicht da. Er war seit Monaten weg. Auf Arbeitssuche. Und ich bin im Dorf nie angenommen worden. Ich war ja eine Städterin. Ich habe mich anders angezogen, ich habe anders gesprochen, ich bin einfach aus dem Rahmen gefallen. Sie haben immer auf mich herabgeschaut.« Sie senkte die Stimme wieder. »Und Daubeny – er sah gut aus, auf seine Art.« Sie hielt einen Moment inne und sagte dann traurig: »Ich habe mich einfach nur allein gefühlt.«
Er hatte zu lange seinen Groll gehegt, sagte er sich. Seine Nichtachtung ihr gegenüber war egoistisch gewesen, ja rachsüchtig. Und während er sich geweigert hatte, ihr zu vergeben, hatten sie beide ein trauriges Leben geführt.
Er ergriff ihre Hand und hielt sie sehr vorsichtig wegen der Verletzungen.
Sie lachte ein wenig und sagte: »Das habe ich mir selber zuzuschreiben. Ich habe mir den falschen Kerl ausgesucht. Geschieht mir recht. Und Daubeny war auch der Falsche, aber das bereue ich nicht, weil du daraus entstanden bist, Caleb. Archie und ich – bei uns hat es mit Kindern einfach nicht geklappt. Manchmal habe ich gedacht, daß er sich seine Gedanken macht – ich weiß es nicht. Er hat nie was gesagt. Aber er hat dich geliebt. Du warst sein Sonnenschein. Und er war dein Vater, Schatz, nicht Daubeny. Archie hat dich abends in den Schlaf gewiegt. Er hat dir Schreiben und Lesen beigebracht und dir gezeigt, wie man Fahrrad fährt. Er hat sich um dich gekümmert, wenn du krank warst. Und wenn du mich fragst, macht ihn das zu deinem Vater.«
Die Schwingtür am Ende des Saals wurde aufgestoßen. Eine Schwester rollte einen Teewagen herein. Betty murmelte: »Der Tee ist verdammt dünn hier, und den Kakao machen sie mit Wasser. Für einen Gin würde ich beinahe alles geben. Und meine Zigaretten haben sie mir auch weggenommen.«
»Wenn du hier raus bist«, sagte er, »kaufe ich dir eine Flasche Gin, Mama. Und mache dir eine ordentliche Tasse Tee.«
»Danke, Schatz.« Sie hob die Hand, um sein Gesicht zu streicheln.
Gegen Ende der Woche kam Patrick. Mit einer Miene selbstsicherer Erwartung trat er in Romys Wohnung.
Romy sagte: »Vor ein paar Tagen war deine Mutter bei mir.«
»Bunny?« Er machte ein erstauntes Gesicht.
»Sie hat mir sämtliche Gründe aufgezählt, warum ich dir keine gute Frau wäre.«
Er küßte sie in den Nacken. »Bunny ist sehr um mich besorgt. Ich bin schließlich das einzige Kind. Das wird schon noch.«
Sie goß ihm etwas zu trinken ein. »Glaubst du?«
»Wenn sie dich erst richtig kennenlernt, wird sie von dir genau so hingerissen sein wie ich. Du bist eben – anders als die Frauen, mit denen ich sonst zusammen war. Laß ihr Zeit.«
»Ich habe den Eindruck, sie findet mich ein bißchen zu anders.«
»Unsinn«, widersprach er nachsichtig.
Sie drehte sich um und sah ihn mit blitzenden Augen an. »Weißt du, daß deine Mutter glaubt, Danny wäre mein Kind, Patrick? Mein uneheliches Kind, meine ich.« Sie sah, wie seine Augen sich weiteten. »Das stimmt natürlich nicht. Aber er ist ein uneheliches Kind. Jem und Liz, Dannys Mutter, waren nicht verheiratet.«
Patrick runzelte die Stirn. »Das wußte ich nicht.«
»Da Danny vorläufig bei mir leben wird, fand ich, du solltest das wissen.«
»Ich dachte, dein Bruder –«
»Wer mich heiratet, übernimmt auch Danny. Das muß dir klar sein, Patrick. Danny und ich gehören zusammen. Man bekommt den einen nicht ohne den
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