Das Erbe des Vaters
als wollte sie weinen, und holte tief und zitternd Luft, bevor sie die Hände vor die Augen schlug.
Erschrocken flüsterte Evelyn: »Ach, Cee«, und tätschelte Celias zuckende Schultern.
»Entschuldige. Entschuldige, Evie«, murmelte Celia und schniefte laut. Dann öffnete sie die geröteten Augen. »Wie blöd von mir.«
»Überhaupt nicht. Hier.« Evelyn reichte der Freundin ein Taschentuch.
Celia tupfte sich das Gesicht ab und schneuzte sich. »Ich sehe bestimmt fürchterlich aus.« Sie nahm ihre Puderdose aus der Handtasche und betrachtete sich im Spiegel. Mit einem Zipfel des Taschentuchs betupfte sie ihren Lippenstift.
Evelyn zündete zwei Zigaretten an und reichte eine davon Celia. »Ist was mit Sarah?« fragte sie vorsichtig. Sarah war das jüngste und zarteste von Celias vier Kindern.
Celia schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Sarah geht es blendend. Den Kindern geht es allen gut.«
»Henry?«
»Henry auch.« Celia zögerte. Dann sagte sie: »Es geht um mich.«
»Du bist krank?« Im Geist ging Evelyn in aller Eile sämtliche Leiden durch, zu denen Frauen mittleren Alters neigten.
Aber Celia schüttelte wieder den Kopf. »Nein, das ist es nicht.« Sie wandte sich von Evelyn ab. »Ich habe einen Freund.«
Die Kellnerin kam, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Evelyn, die gar nicht sah, was auf der Karte stand, bestellte Ochsenschwanzsuppe und Schollenfilet. Als sie wieder allein waren, sagte sie: »Du hast einen Freund?«
»Er heißt Gerald, und ich kenne ihn seit Jahren und – na ja, es ist einfach passiert.« In Celias Blick spiegelte sich eine Mischung aus Scham und Trotz und etwas Drittem, das zu identifizieren Evelyn einen Moment brauchte: Glück.
»Oh«, sagte Evelyn und schwieg. Dann fragte sie: »Weiß Henry davon?«
»Nein. Gott sei Dank. Obwohl ich manchmal denke –«
»Was?«
»Daß es besser wäre, wenn er es wüßte. Wenn er dahinterkäme. Dann wäre die Katze endlich aus dem Sack.«
»Celia –«
»Du findest mich wahrscheinlich furchtbar.« In Celias Stimme schwang ein aggressiver Unterton mit.
»Nein.« Wenn sie sich auch eines gewissen Widerwillens bewußt war. »Nein«, wiederholte sie fester. »Das darfst du nicht glauben, Cee. Es ist nur ein ziemlicher Schock.«
Celia lächelte schwach. »So was hast du nicht erwartet, hm? Das ist mal was ganz anderes als unser gewohntes Gebabbel über Kinder, Dienstboten und Gartenpflege.«
Evelyn verspürte eine Aufwallung des Zorns über die Art, wie Celia die wesentlichen Dinge ihres Lebens abtat. Ein wenig zu laut sagte sie: »Ich weiß, daß ich nicht viel beisteuern kann, wenn wir über Kinder reden, aber ich gebe mir wirklich Mühe, nicht langweilig zu sein.«
Celia sah sie ein wenig erschrocken an. »Entschuldige. Ich wollte nicht –« Sie drückte Evelyn die Hand. »Das war taktlos von mir. Verzeih mir, Darling, bitte.«
Evelyn schämte sich sofort. Da saß die arme Celia in dieser schrecklichen Patsche, und ihr fiel nicht mehr dazu ein, als auf denselben alten Kümmernissen herumzureiten. Dabei war Celia immer so lieb gewesen, so mitfühlend.
Celia sprach immer noch. »… mich immer so auf unsere gemeinsamen Mittagessen. Und ich mußte einfach mit jemandem darüber reden. Zu Hause kann ich natürlich nichts sagen, weil alle Henry und Gerald kennen. Aber vielleicht verlange ich zuviel … vielleicht …« Sie sah beunruhigt aus.
Evelyn zwang sich zu lächeln. »Ich bin heute nur ein bißchen müde. Ich wollte nicht empfindlich sein.« Sie sah Celia an. »Wenn du sagst, daß Gerald dein Freund ist, was genau meinst du dann damit?«
»Damit meine ich«, sagte Celia, »daß ich ihn liebe.« Sie lächelte. »Wenn du ihn kennen würdest, würdest du mich verstehen. Er ist einfach hinreißend, Evie. Du würdest ihn mögen, das weiß ich. Er ist ein so liebevoller Mensch. Und so ein guter Zuhörer. Er sagt mir immer, daß ich hübsch aussehe. Henry tut das nie.«
»Osborne auch nicht.«
»Nein. Na ja, was kann man nach so langer Ehe anderes erwarten? Aber Gerald ist wunderbar. Ich möchte so gern, daß du ihn kennenlernst. An dem schrecklichen Abend, als Sarah Krupphusten bekam und sofort ins Krankenhaus gebracht werden mußte, hat Gerald uns gefahren. Henry war bei einer Parlamentssitzung. Gerald hat stundenlang im Krankenhaus mit mir gewartet. Und wenn Gerald und Laura zu uns zum Essen kamen, hat er mir immer die Tür aufgemacht und die schweren Sachen in die Küche getragen – da haben unsere Gespräche angefangen.
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