Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
Ein Betrachter hätte gedacht, dass der junge Mann, der dort an der abschüssigen Straße zum Hafen hin stand, wohl über die Art der Schiffe der Anyanar nachdachte. Niemand hätte sich die Schönheit der Gedanken erklären können, die Tankrond nun vor sich hatte. Denn wie so oft, wenn seine Gedanken die Königin von Maladan aus der Vergangenheit heraufbeschworen, war diese wunderschön.
Es schmerzte Tankrond gar, wenn er sie vor seinem geistigen Auge herbeirief. Es schmerzte ihn, wenn er an die Berührung ihrer Hand dachte. Und es schmerzte ihn auch, wenn sie in seiner Erinnerung ihre Umarmung löste, mit der sie ihn begrüßt hatte. Doch die Gedanken an Ralka hielten ihn aufrecht. Er glaubte, ohne diese Bilder aus vergangenen Tagen könne er nicht leben. Was bot ihm das Leben denn noch? Nur das Andenken an Valralka. Er wunderte sich jedoch darüber, dass der Liebesschmerz, den er empfand, nicht schwächer wurde. Man sagte doch, dass die Zeit auch die Wunden heilt, die die Liebe schlägt. Doch bei ihm schienen diese immer tiefer zu werden und immer weiter auseinanderzuklaffen. Dass es Liebe war, die er für die Prinzessin empfand, darin bestand für ihn kein Zweifel mehr. Nichts anderes konnte es sein, was seine Gedanken so beherrschte. Diese Liebe war seit dem letzten Besuch seiner Angebeteten nicht etwa verblasst. Nein, sie war gestiegen. Sie nahm alles ein, wo er glaubte, dass Raum dafür sei. Sein ganzes Wesen war erfüllt davon und manchmal glaubte er gar, platzen zu müssen, um dieser Pein ein Ende zu bereiten. Doch gleichzeitig war die Pein auch süß und er tat nichts lieber, als sich Valralka in seinen Gedanken herbeizurufen, und nichts beruhigte ihn mehr, als wenn sie ihm dann auch im Geiste erschien.
Doch mit der Zeit hatten sich andere Gedanken in seinen Verstand geschlichen. Oder war es gar sein Verstand selbst, der sich meldete und ihm sagte, dass er aus dieser Traumwelt, in die er sich geflüchtet hatte, keine Wahrheit erhalten könne? Immer wieder kamen diese bitteren Gedanken in ihm auf, die ihn gemahnten, sich der Realität zu stellen. Oft hatte er mit Fenja über die Realität gesprochen. Sie war der Ansicht, dass es sich bei der Realität um das Hier und Jetzt handelte. Auch die Vergangenheit sollte etwas zur jetzigen Realität beitragen. Und das Jetzt und die Vergangenheit würden die zukünftige Realität, die noch fern lag, bestimmen. Mit diesen Worten und ihrer Sicht der Dinge mochte sie wohl recht haben.
Doch Tankrond fand immer mehr, dass es auch noch eine andere Realität geben müsse. Wieso konnten sie sonst träumen? Oft geschahen in Träumen Dinge, die es in der Realität nie geben konnte. Hierauf hatte Fenja keine schlüssige Antwort gefunden. Doch auch Tankrond war nicht in der Lage, seine Gedanken zur Realität in Worte zu fassen. Er glaubte wirklich, dass Träume dadurch entstanden, dass man die Wahl hatte, sie real werden zu lassen oder auch nicht.
» Sie zeigen uns oft eine bessere oder auch schlechtere Welt«, hatte er ihr gesagt. »Sollten wir da nicht schauen, dass wir das erreichen, von dem wir träumen? Und das verhindern, vor dem wir Angst haben?«
Fenja wusste, was Tankrond damit meinte. Aber sie wollte nicht von selbst auf das Thema Valralka kommen. Das, so hatte sie beschlossen, musste von Tankrond selbst angesprochen werden. Aber seine Ansichten fand sie trotzdem sehr interessant. Sie waren für sie auch aufschlussreich, was die Gedanken ihres Cousins betraf. Ihr dauerte es nun schon zu lange, dass er nicht mit ihr darüber sprach.
Tankrond sah nun wieder die Schiffe, denn langsam verblasste das Bild Valralkas vor seinem geistigen Auge. Er versuchte zwar, es noch weiter festzuhalten, doch es gelang ihm nicht. Der Geruch des Meeres tat sein Übriges, um den lieblichen, süßen Duft Valralkas zu verdrängen, den er eben noch in der Nase zu spüren geglaubt hatte. Er war wieder in der Realität Fenjas angelangt. Auch wenn er diese nicht so sehr mochte wie seine eigene, konnte er sich ihr leider nicht ganz verschließen, wenn er es auch zu gerne täte. Eine Realität, in der er sich ganz alleine mit seiner Angebeteten befand, wäre die seiner Wahl gewesen.
Er hatte Valralka verziehen, dass sie ihm keine Nachricht hatte zukommen lassen, als sie abreisen musste. Er verstand ihre Trauer um den Tod ihrer Eltern und konnte sich auch vorstellen, wie sehr ihre Berater sie zur Heimreise gedrängt hatten. Dennoch hatte er ein Zeichen von ihr erwartet. Aber nun hatte er
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