Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
eingemeißelt.
Akinaja musste sich ein zynisches Lächeln verkneifen. Es war nicht recht, wenn sie bei dem Gedanken an tote Helden Zynismus an den Tag legte. Selbst wenn sie alleine war, wollte sie diesem Gefühl nicht nachgeben. Wie viele Bauwerke hatten sie einst nach ihren Gefallenen benannt, sie waren fast nicht mehr zu zählen. Doch den Toten nutzte dies nichts mehr. Im Gegenteil, auch diese Bauwerke in Ilvalerien waren lange vergessen und vielleicht gar der Zerstörung anheimgefallen. Wenn selbst die Denkmäler das Gedenken an ihre Namensgeber nicht mehr erhalten konnten, wie sollten dann die Anyanar weiter fest an eine Rückkehr in die heiligen Lande glauben?
Akinaja wurde immer von diesen Gedanken der Schwermut ergriffen, wenn sie weit über das Meer hinaus sah. Deshalb wandte sie sich von den Fenstern ab und sah noch einmal die Wachberichte aus Ivalthanir durch. Dies war in den letzten Endera, Jahrhunderten, ihre einzige sinnvolle Beschäftigung, wenn sie auch nicht sehr ergiebig war. Die Berichte lauteten immer gleich und handelten von kleineren Instandsetzungsarbeiten und dem Erhalt des Hafenbeckens. Dies war die Aufgabe der Garnison auf Ivalthanir. Es waren immer nur 120 Krieger und ein Hauptmann, die dort stationiert waren. Der Hauptmann war jedoch dieses Mal eine Frau, die abgelöste Garnison wurde jeden Tag zurückerwartet. Auf Ivalthanir war auch das große Leuchtfeuer der Herrin des Nordens errichtet. Einst hatte Amarya Akinaja im Traum dessen Bau befohlen. Jenes Feuer sollte die Herzen derer erhellen, die dem Dunkel Uluzefars entgegenstanden. Uluzefar war jedoch vielleicht schon lange aus der Welt geschieden und Akinaja hatte ein Bauwerk errichten lassen, welches seinen Zweck vor langer Zeit eingebüßt hatte. Schon beim Bau des monumentalen Obelisken, an dessen Spitze sich seit 2400 Jahren ein kleines Kästchen befand, über dessen Inhalt Akinaja nichts wusste, war sie sich nicht sicher gewesen, ob er jemals seinen Zweck erfüllen könnte. Doch der Traum aus den ältesten Tagen, an die Akinaja sich erinnern konnte, ließ sie nicht los. Als sie die Zitadelle von Tharindin er baut hatten, hatte Akinaja mit einem Male gewusst, dass dort auch der Obelisk zu errichten sei. Das Bild aus ihrem Traum war zurückgekehrt. Sie musste an das kleine Kästchen denken, welches sie damals von Amarya erhalten hatte. Es war schmucklos und einfach in seiner Art gehalten, doch eine Gabe der Mächte bedurfte keiner goldenen Zierwerke. Amarya hatte kein Wort gesagt, als sie es ihr überreichte, aber aus ihrem Traum wusste Akinaja, dass sie es nicht öffnen durfte. Die Hohe Macht hatte ihr nicht durch Sprache, sondern durch ihren Geist eingegeben, was sich darinnen befand. Es war Hoffnung!
» Gebrauchst du, Akinaja, die letzte Hoffnung zu früh, so ist sie zunichte, wenn die Tage dessen kommen, der einst die Völker anführen soll. Es ist die Kraft, die ihr aus der Hoffnung schöpft, die in der Welt ist und die euch leitet.« Diese Worte waren in ihrem Geiste eingebrannt. Oft hatte sie versucht, sie zu enträtseln. Doch nie gelang es ihr. Der Geist der Anyanar durfte sich nicht anmaßen, die Worte der Mächte in ihrer Tiefe zu verstehen, wie sie damals glaubte. Trotzdem versuchte sie sich immer wieder an des Rätsels Lösung.
D ie Abgesandte
Burg von Schwarzenberg, 1. Tag des 10. Monats 2514
Turgos saß schon beim Frühstück in seinen Gemächern. Er wartete jedoch mit dem Einnehmen der Mahlzeit bis Whenda, die hohe Frau aus Maladan, eintreffen würde. Sie speisten des Morgens immer gemeinsam und Turgos genoss die Anwesenheit der schönen Anyanar, obwohl er sich in ihrer Nähe immer ein bisschen wie ein Kind fühlte. Immerhin war Whenda älter als die Thainlande selbst. Die Zeiten, an die sie sich erinnern konnte, raubten ihm den Verstand. In den ersten Wochen nach ihrer Ankunft war er sich immer klein und nichtig vorgekommen, wenn er in ihrer Nähe war. Ja, es war für ihn fast so gewesen, wie wenn eine Mutter zu ihrem Halbwüchsigen sprach. Aber dieses Gefühl hatte sich nun etwas gelegt. Langsam begann Turgos, sich wieder wie ein Anführer der Menschen zu fühlen, Whenda fast ebenbürtig. Er wusste jedoch auch, dass er sich niemals in den Dingen des Geistes mit ihr messen konnte. Er würde nicht den Fehler machen, dies überhaupt zu versuchen.
Zu Anfang war ihm ihre Anwesenheit etwas unangenehm gewesen. Welcher Landesherr war schon glücklich darüber, wenn fremde Soldaten in sein Land kamen? Er
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