Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
was noch von ihm übrig war, wohnte zur Gänze in hohen Türmen. Ein jeder wollte einen Blick auf die Wasser haben. Doch nicht die Wasser waren es, nach denen sie sich so sehr sehnten. Nein, es war das Land Alatha, das das Ziel all ihrer Sehnsüchte in dieser Welt war.
Vielleicht war Alatha nicht mehr in dieser Welt, des Öfteren ertappte sich Akinaja bei diesem Gedanken. Doch wo sollte es sonst sein? Eine andere Welt gab es schließlich nicht. Doch sie erinnerte sich manchmal an jene Worte, die Amarya zu ihr gesprochen hatte, als sie sie nach dem Grund allen Seins befragte. Bis heute verstand sie nicht, warum sie aus dem Einen erschaffen worden waren.
Die Jahre waren nun kurz geworden, in denen sie darüber nachdachte. Auf Ilvalerien hatte ein Jahr sieben Mal so lange wie hier in der neuen Welt gedauert. Auch ein Tag war hier siebenmal kürzer als in jenen Tagen, die für sie die schönsten waren. Sie war sich jedoch nicht sicher, ob auch die Tage Alathas länger oder gar kürzer waren als die in Ilvalerien. Denn auf Alatha hatte sich bis zu den Tagen des Bundes niemand die Mühe gemacht, die Tage in Stunden zu unterteilen. Nur die Tageszeit war angeführt worden, wenn man einen Tag einteilte oder sich verabredete.
Akinaja hatte sich nie einen Gatten erwählt. Sie hatte ihre Freiheit schon in den alten Tagen geliebt. Doch nun wusste sie, dass der Preis dieser Freiheit die Einsamkeit in jenen Stunden war, in denen man eben nicht alleine sein wollte, um seine Gedanken mit jemandem teilen zu können. Nur einmal in den vielen Jahren seit ihrem Erwachen hatte es einen gegeben, mit dem sie Tisch und Bett geteilt hätte. Doch jener war ein Mann vom Geschlechte der Rana-Velul gewesen, dem sie nie ihre Liebe erklärt hatte. Und das war auch gut so, wie sie heute fand, da er bereits vor vielen Jahren aus dem Leben geschieden war. Den Schmerz über seinen Verlust hätte sie nie überwinden können, wenn sie zuvor lange vermählt gewesen wären. Dennoch trauerte sie noch immer um ihn. Aber das war ihr Geheimnis und nie sollte ein anderer davon erfahren.
Akinaja erwartete die Schiffe aus Ivalthanir zurück. Dort hatten die Esul-Anyanar gelebt, bevor sie durch das Kawanrion zu den Nebelinseln gefahren waren, und eine Stadt sowie einen gewaltigen Hafen errichtet. Der Hafen hieß Amlothand und die Stadt nannten sie Tharundin. Akinaja erinnerte sich noch gut an die Diskussion, die es bei der Namensgebung der Stadt gegeben hatte. Ihr Volk hatte gewollt, dass die Stadt ihren Namen tragen sollte, aber dieser Vorschlag hatte Akinaja überhaupt nicht gefallen. Trotz ihrer manchmal herrischen Art, sah sie sich doch in tiefer Demut den Mächten gegenüber verpflichtet, nichts zu ihrem eigenen Ruhme zu erwirken. Sie hatte sich bisher immer an diese Regel gehalten, wenn es auch ihre eigene war, die Mächte hatten dies nie von ihr gefordert. Als ein Schloss in den Bergen der Usul-Tharas gebaut werden sollte, hatten alle ihres Volkes gewusst, dass sie dieses Tharindin nennen würde. Dies kam daher, dass in ein und derselben Schlacht, der Schlacht von Val-Haman, Malin der Bogenschütze und auch seine Kinder Indina und Undinas gefallen waren. Dies war das erste Geschlecht der Esul-Anyanar, das bis auf die letzten Nachfahren ausgelöscht worden war.
Malin war ein Großer unter den Bogenschützen Ilvaleriens gewesen. Er hatte sogar aus der Hand des Naros einen von dessen begehrten roten Bögen erhalten, die nur den Besten der Besten vorbehalten waren: Wer nicht einem Sperling auf zweihundert Schritte zwischen die Schwanzfedern schießen konnte, der war eines solchen Bogens nicht würdig. Diese Worte hatte sie oft gehört. Naros hatte sie immer wieder gesprochen, wenn die Abschlussfeier der Bogenschützen mit der Übergabe eines roten Bogens ihren Höhepunkt erreichte.
Akinaja musste nun an Naros denken. Sicher war er schon vor langer Zeit gestorben. Das Alter holte die Menschen, ob schwarz oder weiß, schneller ein, als es ihnen lieb war. Das mochte auch der Grund dafür sein, dass die Jahre nun kürzer waren als in den Tagen Alathas. So blieb den Menschen länger Zeit in der Welt. Doch diese Zeit war trügerisch, weil sie wegen der kürzeren Jahre eigentlich auch keinen Vorteil mit sich brachte. Nur an Zahl, nicht aber an Zeit waren sie größer. Der große Torbogen, der zur Zitadelle von Tharindin führte, trug den Namen von Malin und wurde der Malinsbogen genannt. Auf diesem waren seine Künste und Taten für die Ewigkeit
Weitere Kostenlose Bücher