Das Erbe in den Highlands
Zeitpunkt für Scherze; jetzt musste er beten, dass ihm gelingen würde, was er sich vorgenommen hatte.
Kendrick bot all seine Energie auf, sich auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren. Wie oft in seinem Leben war es die Konzentration gewesen, die ihn befähigt hatte, einen größeren Gegner aus dem Sattel zu heben, oder nach Stunden des Kampfes im heißen Sand Arabiens noch auf den Beinen zu stehen, wenn ihm schien, als fließe seine Seele zusammen mit dem Schweiß aus seinem Körper? Aye, das hier war genau das Gleiche. Nur war es viel wichtiger. Er würde Genevieve den Ring an den Finger stecken, und wenn er dafür zwei Wochen im Bett verbringen musste.
Er hob ihn hoch. Herr im Himmel, war der schwer! Kendrick spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach und an den Schläfen und Wangen hinunterlief. Genevieves Hand war sofort vor ihm. Er schenkte ihr ein angespanntes Lächeln für ihre Hilfe. Wahrscheinlich konnte sie ihn vor lauter Tränen nicht sehen; er jedenfalls sah sie nicht, so sehr pochte das Blut hinter seinen Augen. Schweiß tränkte sein Hemd, rann an seinen Schenkeln entlang und sammelte sich in den Kniekehlen.
Er streifte den Ring über ihren ersten Fingerknöchel. Sie angelte mit dem Daumen nach dem unteren Rand des Ringes und schob.
»Nicht«, krächzte er. Er sah ihr in die Augen. »Tu’s nicht.«
Ihre Schultern bebten vor Schluchzen. Trotzdem hielt sie die Hand still. Himmel, war ihm früher denn nie aufgefallen, wie lang die Finger einer Frau sein konnten? Kendrick biss die Zähne zusammen und schob den Ring mit aller Kraft über den letzten Knöchel an seinen Platz.
Geschafft.
Er sank zu ihren Füßen zusammen. Augenblicklich kniete sie auf dem Boden neben ihm.
»Oh, Kendrick.« Sie streckte die Hand aus, wollte ihm das Haar aus der Stirn streichen und griff durch ihn hindurch. Sie zog die Hand zurück und schlang die Arme um sich, dann schloss sie die Augen und weinte.
Obwohl er sich nur unter Qualen aufsetzen konnte, tat er es, trotz der rasenden Schmerzen, die in seinen Muskeln brannten. Anscheinend verfügte er noch über genügend Körperlichkeit, um Schmerzen empfinden zu können.
»Genevieve«, sagte er heiser. »Oh, meine Gen, weine doch nicht so, wenn ich dich nicht trösten kann. Ich flehe dich an.«
Sie hob den Kopf, die Hand über dem Mund. Ihre Augen waren gerötet und die Wangen tränennass. Sie nahm die Hand vom Mund und streckte sie zögernd aus.
»Ich würde alles geben, dich berühren zu können«, flüsterte sie. Am seltsamen Klang ihrer Worte merkte er, wie sehr es ihr die Kehle zuschnürte. »Nur einmal, Kendrick. Ein einziges Mal.« Sie hob ihre Hand an seine Wange, dorthin, wo ihre Hand liegen würde, wäre er lebendig. »Nur ein einziges Mal.«
»Eines Tages vielleicht«, versuchte er ihr Hoffnung zu
machen, obschon er wusste, dass er log. Aber er war nicht imstande, etwas anderes zu sagen. Dazu würde es eines Wunders bedürfen.
Ihre Schultern sackten zusammen. »Kendrick, du bist schon ganz bleich. Komm ins Bett.«
Trotz der Tränen, die ihm über die Wangen strömten, brachte er ein mattes Lächeln zustande. »Ich sollte mich öfter derart verausgaben. Offensichtlich ist das der Weg, einen Platz im Bett meiner Herzensdame zu erringen.« Er hielt seine Hand über die ihre, die neben seiner Wange in der Luft schwebte. »Sag mir, dass dir der Ring gefällt.«
»Ich werde ihn nie ablegen«, schwor sie. »Niemals.«
»Liebst du mich?«
»Wahnsinnig.«
»Dann komm ins Bett und sag es mir. Komm ins Bett, Genevieve, und wir löschen die Lichter und reden.«
Sie nickte und stand mit ihm auf. »Ich beeile mich.«
Er nickte und sah ihr nach, als sie durchs Zimmer zum Bad ging. Dann wartete er, bis sich die Tür geschlossen hatte, wandte sich dem Kaminsims zu und senkte den Kopf.
Und weinte.
20
Genevieve stand in der Kühle des Spätnachmittags fröstelnd auf dem Wehrgang. Das neue Jahr war angebrochen und hatte nichts als Kummer gebracht. Sie blickte auf den schönen Diamantring, der in der Wintersonne glitzerte. Kendrick hatte ihn berührt. Sie hatte gespürt, wie er ihn aus ihrer Hand nahm und über ihren Finger streifte. Wieso konnte sie dann nicht auch seine Berührung auf ihrer Haut spüren?
Sie ließ die Hand sinken und kämpfte gegen die Tränen an. In den letzten zwei Wochen hatte sie ständig geweint. Obwohl sie sich bemühte hatte, es nur in Abgeschiedenheit zu tun, war es ihr nicht gelungen, ihre Appetitlosigkeit und ihre rote Nase vor
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