Das Erbstueck
zum Hals darin. Vati legte sich auf den Bauch und zog sie mit einem Seil raus, das er unter ihren Armen durchziehen konnte. Danach sagte er, es wäre schneller gegangen, wenn sie ein Pferd zur Hand gehabt hätten, zum Ziehen, und da bekam er die beiden von dem Kaufmann. Den Wagen hat er selber gebaut.«
»Aber einfach so durch die Welt zu ziehen. Ein Vater und drei Kinder. So etwas habe ich noch nie gehört.«
»Ælle war zuerst bei unserer Großmutter in Tværmose, wir
haben ihn vier Jahre nicht gesehen, dann haben wir ihn geholt. Er weinte, und Oma weinte, und dann sind wir gefahren. Anfangs hat er den kleinsten Hund im Feuerzeug gespielt, er hatte großen Erfolg als Hund.«
Sie lachte. Er auch. An ihrer Brust, mit heißem Atem, ehe er weitersprach, mit leiser Stimme: »Ælle hält es für seine Schuld, dass Mutti gestorben ist, er glaubt, er habe sie mit seinem Körper getötet. Vati erklärt und erklärt, aber das hilft nichts. Er ist sich ganz sicher, dass er sie umgebracht hat, und eigentlich hat er ja auch Recht, aber er hatte ja nicht darum gebeten, geboren zu werden, er wollte das nicht, er war zu groß, er lag verkehrt, sein Kopf war am falschen Ende, und sie mussten ihn herausziehen, und dabei ist Mutter zerrissen, und ein Arzt war nicht aufzutreiben. Er hätte auch ums Leben kommen können, das sagt Vati immer wieder zu ihm, und dann antwortet er in der Dunkelheit ... es ist immer dunkel, wenn Ælle daran denkt, wenn er nachts aufwacht... dass er selber gern gestorben wäre, das wäre nur recht und billig gewesen.«
»Der arme Ælle, er ist doch so niedlich.«
»Die kleine Julia ...«
»Und ihr zieht einfach durch die Weltgeschichte. Das ganze Jahr ...«
»Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Und das Beste ist: Niemand weiß, dass es uns gibt. In Schleswig hatten sie einfach keinen Überblick, und damit bleibt mir auch die Wehrpflicht erspart, wo ich mich doch nur mit Diphtherie anstecken würde ... Aber ich würde gern eine Revolution miterleben, für Volk und Kultur und alle Menschen, die nichts haben, worüber sie sich freuen können, die nur arbeiten und arbeiten, ohne irgendetwas selber entscheiden zu dürfen. Wenn wir auftreten, dann bringen wir ihnen Freude. Vati sagt, dass wir unsere eigene kleine Revolution machen, wenn wir ihre Gedanken ein kleines Stück über dem Boden fliegen lassen, sodass sie sich dann selber sehen und vielleicht etwas tun, etwas ändern ...
sich zu Wort melden. Aber ich wäre so gern ein echter Revolution är.«
»Nein, das doch nicht«, sagte Malie und stellte sich Gewehre und Schusswaffen vor und Ruben, der zerschossen und aufgequollen im Schlamm lag, wie sie es auf Zeitungsbildern vom Grabenkrieg gesehen hatte. »Dann ist es doch noch besser, in einer Kneipe zu stehen und Kopenhagen als Hölle zu bezeichnen.«
»Ich liebe Kopenhagen«, sagte er und lachte. »Aber es ist ein guter Text. Vati hat ihn ausgesucht. Er hasst Kopenhagen. Er behauptet, dass er dort ertrinkt, er fühlt sich alt und müde und bekommt keine Luft mehr. Aber er war in allen Theatern, im Königlichen und im Folketheater. Und im Rode-Kro-Theater in Amager. Da waren wir alle, da ist der Teufel los, das kann ich dir sagen! Da haben wir alles Mögliche aufschnappen können, aber dann wollten mindestens fünf Frauenzimmer meinen Vater abschleppen und uns eine neue Mutter sein. Das liegt an Ælle ... alle guten Frauen werden schwach, wenn sie Ælle und seine Locken sehen.«
»Aber ihr seid so tüchtig, ihr könnt so viel. Und niemand weiß, dass es euch gibt ...«
»Das ist wunderbar! Es verstehen ja nicht alle Dänisch, aber dann singen wir, oder sie verstehen Deutsch. Zu Essen bekommen wir immer. Und da wir keine ... Frauen bei uns haben, haben die Frauen auf dem Land oft Mitleid mit uns, und das dürfen sie gern, hat Vati gesagt. Dann bringen sie uns warmes Essen und waschen für uns und schneiden uns die Haare und geben Mikkel und Stark-Hans ihre alten Äpfel.«
Er stützte sich auf die Ellbogen und näherte sich ihrem Gesicht. Seine eine Wange war vom Tau feucht. Wieder konnte sie die gelben Blitze betrachten, die in der grünen Iris umherjagten. Sie waren wie ein Kranz aus weiß glühendem Feuer. »Ich liebe Pferde«, sagte er. »Auf dem einen kann ich aufrecht stehen, und Fits auf dem anderen, und dann heben wir im Galopp Ælle zwischen
uns hoch, aber jetzt, wo er so groß ist, geht das nicht mehr so leicht. Du riechst so gut, lass mal nachsehen.«
Er hob ihren Rock
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