Das Erbstueck
Dreas, doch der lachte nur. »Das Mädel will doch nicht mit dem Kopf in einem stinkenden Aalwagen stecken, wenn sie stattdessen einem jungen Mann den Kopf verdrehen kann«, rief der Onkel, und Malie liebte ihn dafür. Eines Tages brachte er ihr Schuhe mit, Stoffschuhe mit harter Sohle und hellblauen Seidenschleifen vorn in der Mitte. Die habe er gekauft, sagte er. Für sie. Sie fiel ihm um den Hals und küsste ihn auf beide Wangen, während der Vater zusah und fluchte. Und die Mutter schrie: »Solche Schuhe sind für konfirmierte Mädchen gedacht! Nicht für kopflose Dirnen, die nicht einmal Sellerie für ihre Mutter kaufen können!«
»Aber, aber«, sagte Onkel Dreas. »Das Frauenzimmerchen wird nun mal erwachsen ...«
Dann rüstete Trupp Sule sich zum Aufbruch, nach einem guten Schmaus in der Jebseschenke. Ælle weinte große blanke Tränen, die saubere Streifen über seine Wangen zogen. Madame Agnes packte ihnen einen Korb mit Proviant. Malie gab ebenfalls vor zu weinen und hob immer wieder die Schürze an ihr Gesicht. Hinter dem Blauzeug lächelte sie und schluchzte vor Erwartung, ehe sie erneut das Gesicht in weinerliche Falten legte. Alfred Jebsen war in bester Stimmung und versuchte dauernd, sie zu trösten. Sie entzog sich seinem Zugriff.
Vati Sule hatte keine Ahnung. Malie wollte behaupten, ihre Eltern hätten es erlaubt, und Ruben wollte vorbringen, dass sie wirklich die Hilfe einer Frau brauchten. Vati Sule würde sich nicht die Mühe machen, festzustellen, ob Malie die Wahrheit sagte. Ihre nächsten Reiseziele waren Falster und Lolland. Ruben hatte erzählt, dass sie zwei Jahre zuvor dort gewesen waren und großen Erfolg gehabt hatten. Sie verliehen Mikkel und Stark-Hans als Deckhengste und verdienten gutes Geld. Ruben war ziemlich sicher, dass sie die erste Nacht in Folbӕk verbringen würden. Das war ein guter Ort mit einem Marktplatz, wo sie vormittags, ehe sie weiterzogen, immer auftreten durften. Und deshalb wusste Malie, wo sie sie finden würde.
Sie konnte echte Tränen weinen, als sie ihnen zum Abschied hinterherwinkte. Ruben saß ganz still neben Vati Sule, ohne sich umzuschauen.
»Da siehst du’s. Aus den Augen, aus dem Sinn«, sagte der Vater und legte ihr die Hand in den Rücken.
»Der arme kleine Junge«, schluchzte die Mutter. Will sie deshalb nichts von mir wissen, überlegte Malie, weil sie sich eigentlich einen Sohn wünscht?
Es wurde ein seltsamer Abend. Sie arbeitete mechanisch und gründlich. Das Geld hatte sie schon geholt und in ihrem Bündel verstaut. Es waren elfhundert Kronen. Endlich hatte sie sie gezählt.
Als die Mutter die Petroleumlampe ausblies und Malie bat, die Lampe vor der Tür zu löschen, blieb Malie einen Moment stehen und musterte im Schein der Flammen ihr Gesicht. Es war alt und verbittert, tiefe Furchen zogen sich um Mundwinkel und Augen dahin. Die Mutter hatte einen Lappen um das Lampenglas gewickelt, um sich nicht zu verbrennen. Ihr Oberarm hing schwer und fett aus ihrem Ärmel. Die andere Hand lag flach und abgearbeitet auf dem Tresen, runzlig, mit geschwollenen Fingern.
»Mutter ...«
»Ja?«
»Mutter, ich ... nein, ach, gar nichts.«
»Dann mach jetzt die Lampe aus. Und geh ins Bett. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Mutter.«
Der Einzige, von dem sie sich verabschieden konnte, war Simon-Peter. Sie lehnte sich an ihn und weinte in sein zundertrockenes Fell, das nach Fliegen und Sonne und staubiger Landstraße roch. Er wandte ihr den Kopf zu und brummte tief in der Kehle. Seine Augen leuchteten im Halbdunkel, wie große blanke Kugeln mit langen Wimpernfransen.
»Feiner, feiner Simon-Peter ...«
Er war älter als sie. Er war immer da gewesen. Immer derselbe. Geduldig und hart arbeitend, ohne einen Traum von etwas anderem, glaubte sie.
»Geht es dir gut? Werde ich dir fehlen? Ich habe das ganze Geld meines Vaters genommen, er wird böse sein, aber er darf dich nicht schlagen. Und wenn er mir folgt, musst du einen wehen Fuß haben und keinen Schritt gehen können, versprichst du mir das?«
Sie ging durch den Schankraum zu ihrem Zimmer. Dabei fuhr sie mit den Fingerspitzen über die Tischplatten. In der Eile fiel ihr auf, dass die eine nicht richtig abgewischt war. Sie wies noch immer zähe Flecken von Bierringen und dem Fett der triefenden Aalstücke auf.
Sie dachte: Es gibt allerlei, das mir fehlen wird.
A gnes! AGNEEEES! Wo steckst du denn bloß, Olle?«
Sie kam die Treppen hochgeklappert.
»Was ist los? Und warum ist Malie nicht in der
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