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Das erste Buch der Traeume

Das erste Buch der Traeume

Titel: Das erste Buch der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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ersten Nacht nach dem Ball, als ich Angst gehabt hatte, meine Augen länger als eine Minute zu schließen, weil ich dann immer Anabel mit dem Messer vor mir gesehen hatte, war er ganz selbstverständlich in mein Zimmer gekommen. Er hatte sich einen Sessel an mein Bett gerückt und auf seine ernsthafte Art und Weise gesagt: »Du kannst einschlafen, Liv. Ich pass auf dich auf.« Wie ein richtiger großer Bruder. Grayson hatte mir auch geholfen, unserer Familie (und Emily) eine plausible Erklärung dafür zu liefern, dass sie mich in der Nacht des Balls in der Notaufnahme des Royal-Free-Hospitals hatten abholen müssen. Mum hatte glücklicherweise sofort geglaubt, dass ich auf der Treppe über mein langes Kleid gestolpert und hingefallen war. Und Secrecy hatte darüber in ihrem Blog berichtet, als habe sie es mit eigenen Augen gesehen. Die Platzwunde an meinem Hinterkopf war mit vier Stichen genäht worden, und wegen einer leichten Gehirnerschütterung hatte ich ein paar Tage das Bett gehütet.
    Drüben auf der Schaukel fing Amy an zu singen. Unsere Anwesenheit schien sie nicht zu stören, eher im Gegenteil. Ab und zu schaute sie zu uns hinüber und winkte fröhlich.
    »Woher kam das Buch überhaupt – ich meine, wie kam es in den Besitz von Anabels Familie?«, fragte ich.
    »Ich nehme an, es stammt aus dem Nachlass von Anabels Mutter. Sie hat Anabels Vater verlassen, als Anabel noch ganz klein war, weil sie in die Fänge einer dubiosen satanischen Sekte geraten war. Es hat Monate gedauert, bis es Anabels Vater und seinen Anwälten gelungen ist, das Sorgerecht für Anabel zu bekommen und sie da rauszuholen. Die Mutter ist kurze Zeit später in eine psychiatrische Klinik gekommen, dreimal darfst du raten, mit welcher Diagnose. Und in dieser Klinik ist sie vor ein paar Jahren gestorben. Anabel hatte keinen Kontakt mehr zu ihr, aber irgendwas ist aus dieser Zeit wohl bei ihr hängengeblieben …«
    »Und woher weißt du das alles?«
    Henry antwortete nicht. Er reckte sich nach einem Ast, um mir einen grünen Luftballon zu pflücken.
    »Danke.« Ich hielt den Ballon hoch und ließ ihn in die Luft steigen. Ein paar Sekunden später war er nur noch ein kleiner grüner Punkt am blauen Himmel. Henry hatte sich nicht verändert. Er antwortete nur auf Fragen, die ihm gefielen. Aber das störte mich nicht besonders. Jeder Mensch braucht seine Geheimnisse, und Henry brauchte offenbar mehr als andere Menschen. Ich war nur froh, dass alles vorbei war und niemand mehr an einen Dämon glauben musste.
    »Ich hab noch was für dich.« Henry zog ein kleines schwarzes Kästchen aus seiner Hosentasche und reichte es mir. »Warte.« Eine rote Schleife erschien auf dem Deckel. »Besser? Oder lieber blau?«
    »Nein, rot ist prima«, sagte ich und rupfte die Schleife ab. »Geschenke im Traum sind ja so praktisch. Und preiswert. Du kannst mir einen Achtkaräter schenken oder den Koh-i-Noor-Diamanten, ohne einen Penny dafür auszugeben oder in die königlichen Schatzkammern einzudringen. Ich überlege, dir zum Geburtstag eine hübsche Segelyacht zu schenken. Zusammen mit dieser kleinen Karibikinsel …«
    Henry grinste. »Mach schon auf.«
    Mit einem Seufzer klappte ich den Deckel hoch. »Oh«, sagte ich und überlegte kurz, ob ich enttäuscht sein sollte. Es war ein kleiner, silberner Schlüssel an einem dünnen, schwarzen Lederbändchen.
    » Take a key and lock her up, lock her up, lock her up «, sang Amy genau in dem Moment.
    »Es ist der Schlüssel zu meiner Tür«, sagte Henry. »Damit du mich auch mal besuchen kannst.«
    »Das ist ja …« Ich war gerührt. »Und der passt auf alle drei Schlösser?«
    »Nein«, sagte Henry zögernd. »Er passt nur auf das mittlere. Aber ich werde die anderen beiden einfach nicht abschließen …«
    Ich musste lachen. »Und wenn sie doch abgeschlossen sind, weiß ich, dass du gerade etwas träumst, bei dem du mich nicht dabeihaben willst, richtig?«
    »Nicht sehr romantisch?« Er grinste mich schief an.
    »Doch, irgendwie schon«, sagte ich und legte Henry beide Arme um den Hals. »Dankeschön.«
    Henry schloss die Augen, noch bevor meine Lippen seinen Mund berührten. Ihn zu küssen, hatte nicht das Geringste von seinem Reiz verloren, eher im Gegenteil. Ich würde nie genug davon bekommen können. Henry legte seine Hände auf meine Hüften und drängte mich mit dem Rücken gegen den Luftballonbaum, nur um dann schwer atmend einen Schritt zurückzutreten und den Kopf zu schütteln. »Nein, so geht das

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