Das erste Buch der Traeume
lächerlicher vor als das erste, aber wir haben es durchgezogen.«
»Und dann?« Ich registrierte sehr wohl, dass ich Grayson inzwischen gespannt zuhörte. Vielleicht ein bisschen zu gespannt.
»Erst geschah gar nicht viel. Nur unsere Träume wurden immer lebhafter und eindringlicher. Wir träumten von dem Dämon und voneinander, von Türen und Korridoren, und am nächsten Tag konnten wir uns genau erinnern, was wir in diesen Träumen miteinander gesprochen hatten.« Er biss sich auf die Unterlippe. »So, als hätten wir uns tatsächlich getroffen. Das war … angsteinflößend. Na ja, jedenfalls für mich und Anabel, Henry fand es interessant, Arthur berauschend, und Jasper – ach, ich glaube, Jasper fand es einfach nur lustig.«
Ich spürte, dass wir zum Kern der Geschichte kamen, und wieder breitete sich dieses mulmige Gefühl in meinem Magen aus. »Ihr konntet also miteinander träumen«, wiederholte ich. »Und weil ihr dafür keine logische Erklärung hattet, fingt ihr an, an die Existenz dieses Dämons zu glauben.«
Er brachte es fertig, gleichzeitig den Kopf zu schütteln und zu nicken. »Sagen wir doch, wir zogen mehr und mehr in Betracht, dass es ihn wirklich gab, außerhalb unserer Einbildung. Und deshalb machten wir weiter und brachen die nächsten Siegel, eins nach dem anderen. Einige Rituale aus dem Buch führten wir nun im Traum durch, in jeder Neumondnacht, und das Faszinierende war, dass wir das an jedem beliebigen Ort tun konnten. An Orten, die man sonst nachts nicht aufsucht.«
Wie der Highgate Cemetery , wäre mir beinahe herausgerutscht. Aber ich war mir immer noch nicht sicher, ob Grayson wirklich wusste, dass ich bei dem Friedhofstraum mit dabei gewesen war, oder ob er es – wegen seines Pullovers – lediglich in Betracht zog.
»Arthur, Henry und auch Anabel waren ganz fasziniert von den Träumen und den Möglichkeiten, die sich da auftaten – sie wurden geradezu süchtig danach, alles auszuprobieren und in den Träumen anderer Menschen herumzuspazieren.«
Verständlich. »Und Jasper und du?«
Er zuckte mit den Schultern. »Jasper war das alles zu verwirrend und zu anstrengend, glaube ich, und ich fand es mit der Zeit irgendwie … nicht richtig. Abgesehen davon, dass es mich auch nicht besonders interessiert, was andere so träumen.«
» Wirklich nicht? Bei niemandem?« Das war mir herausgeschlüpft, ehe ich es verhindern konnte.
»Ausnahmen bestätigen die Regel.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über Graysons Gesicht. »So oder so ist es aber unfair, Menschen im Traum auszuspionieren«, sagte er, und ich konnte nicht umhin, mich ein kleines bisschen beschämt zu fühlen. Seine Stimme wurde wieder ernst. »Aber der Dämon hatte damit bereits einen Teil unseres Paktes erfüllt: Denn in die Träume anderer Menschen eindringen zu können, ihre geheimsten Ängste und Sehnsüchte zu kennen bedeutet nichts anderes als …«
»… unermessliche Macht«, flüsterte ich und versuchte, die Gänsehaut, die über meine Arme kroch, zu ignorieren. Um mich abzulenken, ging ich hinüber zum Fenster und starrte auf die Umrisse eines Ahornbaums, der im Hinterhof wuchs. Ich musste mich konzentrieren. »Gut, für diese Träume haben wir bis jetzt noch keine logische Erklärung gefunden«, sagte ich mit fester Stimme. »Aber handfeste Beweise für die tatsächliche Existenz eines wie auch immer gearteten Dämons gibt es auch nicht, wenn man mal ganz objektiv ist. Er ist doch, wenn überhaupt, nur in euren Träumen erschienen.«
»Richtig«, gab Grayson zu. »An diesem Gedanken habe ich mich auch festgehalten. Bis …«, er machte eine kleine Pause. »Bis unsere Wünsche anfingen, in Erfüllung zu gehen. Zuerst Jaspers, dann meiner, dann Arthurs …«
Ich drehte mich um und blickte ihn ungläubig an. »Eure geheimen Herzenswünsche?«
Er nickte. »Ja, das, was wir an Halloween auf diese Zettel geschrieben hatten, trat tatsächlich ein.«
»Diese Wünsche habt ihr euch einfach so erzählt? Ich meine, sie waren doch geheim, oder nicht?«
»Das stimmt. Aber wenn man sich so gut und so lange kennt wie wir, weiß man auch, was der andere sich insgeheim wünscht und wonach er sich sehnt …« Für einen Moment war er unfähig weiterzusprechen, dann schien er sich zusammenzureißen. »Na ja, und Jasper kennst du jetzt auch ein bisschen, er ist nicht der Typ, der ein Geheimnis lange für sich behalten kann. Er hat genau einen Tag durchgehalten, bis er uns von seinem Wunsch erzählt hat. Und
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