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Das erste Buch der Traeume

Das erste Buch der Traeume

Titel: Das erste Buch der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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nur zu, aber sie war es, die bestimmte, auf welche Art und Weise gequält wurde, deshalb fürchtete ich sie am allermeisten. Am wenigsten schlimm war vermutlich noch Abigail, die immer nur Schmiere stand. Auch jetzt.
    »Au ja, die Türquetsche.« Aubrey klatschte begeistert in die Hände. Samantha drehte meinen Arm noch ein Stückchen weiter in die Höhe, und ich konnte nur mit Mühe einen Schmerzenslaut unterdrücken. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich mich so machtlos gefühlt.
    »Na gut«, sagte Lindsay. »Aber vorher sollten wir sie noch taufen, was meint ihr?«
    »Au ja«, jauchzte Aubrey wieder. »Erst tunken wir sie mit dem Kopf ins Klo, und dann quetschen wir ihre Hand … Bist du Links- oder Rechtshänderin?«
    Samantha lachte laut. »Ist doch egal, es tut auf beiden Seiten gleich weh.« Sie stieß mich vorwärts, und Aubrey half ihr, indem sie mit der Hand nach meinem Pferdeschwanz griff und mich daran in die Klokabine zerrte. Im Vorbeistolpern konnte ich einen Blick in den Spiegel erhaschen, sah meine weitaufgerissenen, ängstlichen Augen im kalkweißen Gesicht, Aubreys viel zu stark geschminkte Visage und Lindsays genüssliches Lächeln. Und eine grüne Tür an der gekachelten Wand hinter uns. Samantha versetzte mir einen Tritt in die Waden, so dass ich auf die Knie fiel, direkt vor die Kloschüssel. Aubrey riss meinen Kopf an den Haaren in den Nacken und kicherte. »Sie hat Glück, die Putzfrau war vorhin erst da.«
    »Fragt sich nur, was ungesünder ist: Dreck oder Desinfektionsmittel. Noch ein paar letzte Worte, bevor du das trinkst?«, fragte Lindsay.
    Samantha trat mich aufmunternd in den Rücken. Aber ich schwieg. Eine sarkastische Bemerkung wäre reine Verschwendung gewesen, Lindsay und ihre Gang verstanden nämlich keinen Sarkasmus. Sie wussten nicht mal, wie das Wort geschrieben wurde. Und ehrlich gesagt fiel mir gerade auch gar nichts Sarkastisches ein. Ich wollte nur nach meiner Mama rufen. Und weinen. Aber den Gefallen würde ich ihnen nicht tun. Ein letztes Mal versuchte ich mich aufzubäumen, mit aller Kraft, und Samantha trat mich wieder, dieses Mal so fest, dass ich gegen meinen Willen aufschrie.
    Ich hatte keine Chance.
    Ihre fette Hand legte sich um meinen Nacken und zwang meinen Kopf erbarmungslos in die Kloschüssel, mit der anderen verdrehte sie mir immer noch den Arm.
    Plötzlich verstummte Lindsays Lachen, stattdessen hörte ich sie erschrocken nach Luft schnappen. Jemand sagte mit zorniger, kalter Stimme: »Lass sie sofort los, du fette Schlampe!«, und seltsamerweise ließ Samantha mich tatsächlich los und stolperte zurück. Das Blut schoss schmerzhaft zurück in meinen Arm, als ich versuchte mich aufzurappeln.
    Ein großer Junge mit verstrubbeltem Haar war mir zur Hilfe gekommen. Henry. Er hatte Lindsay beiseitegeschubst und Samantha grob am Arm aus der Klokabine gezerrt. Aubrey war von allein zu den Waschbecken geflüchtet und glotzte Henry von dort aus genauso verwirrt an, wie ich mich fühlte.
    Hier stimmte doch was nicht.
    »Wo kommt der denn auf einmal her?« fragte Aubrey, und Lindsay sagte: »Das ist ein Mädchenklo, du Hirni.« Aber sie sahen alle irritiert, ja beinahe ängstlich aus. Sogar Samantha, die sich sonst von niemandem ungestraft fette Schlampe nennen ließ. Gegen Henry wirkte sie plötzlich gar nicht mehr so groß und stark, sie rieb sich ihren Arm an der Stelle, an der er sie gepackt hatte und murmelte irgendwas Unflätiges vor sich hin.
    »Ihr seid wirklich das Letzte!« Henrys graue Augen funkelten vor Wut. »Vier gegen eine. Und sie ist viel kleiner als ihr. Verschwindet jetzt, bevor ich eure hässlichen Köpfe in die Kloschüssel tunke!«
    Das ließen sie sich nicht zweimal sagen, sie drehten sich um und rannten raus. Vor der Tür hörten wir, wie sie Abigail ankeiften, von wegen, sie hätte doch aufpassen sollen, dass niemand reinkam, und Abigail verstand anscheinend nur Bahnhof, weil sie mindestens siebenmal »Hä? Welcher Typ?« fragte, dann entfernten sich ihre Stimmen, und es war still.
    Ich lehnte mich an die Kabinenwand und atmete immer noch viel zu schnell. Henry strich mir die Haare aus der Stirn, was nicht gerade dazu beitrug, mich zu beruhigen.
    Er sah mich besorgt an. »Hey, alles ist gut, Liv.«
    »An dieser Stelle tunken sie immer meinen Kopf ins Klo«, versuchte ich ihm zu erklären. »Und du gehörst nicht hierhin.«
    »Ja, ich weiß. Aber ich konnte doch nicht zusehen, wie sie dich …« Seine Fingerspitzen fuhren vorsichtig über

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