Das erste Gesetz der Magie - 1
würde Prinzessin Violet erst richtig über sie lachen, und Sara würde sie auch ins Feuer werfen.
»Steig in den Kasten«, befahl Rachel. »Dann siehst du mal, ob dir das gefällt.«
»Was!«
Rachel drückte den Feuerstab etwas fester an Violet. »Sofort, sonst verbrenne ich dich.«
Sie bewegte sich langsam, den Feuerstab im Rücken. »Überleg dir, was du tust, Rachel. Willst du wirklich…«
»Sei still und klettere hinein. Es sei denn, du willst, daß ich dich verbrenne.«
Die Prinzessin ging auf die Knie und kletterte hinein. Rachel sah ihr nach.
»Bis ganz hinten durch.«
Sie tat es. Rachel schloß die Tür mit einem Knall, ging zur Schublade und holte den Schlüssel. Sie verschloß die Eisentür an dem eisernen Kasten und steckte den Schlüssel ein. Dann kniete sie sich hin und sah durch das kleine Fenster hinein. In der Dunkelheit waren die Augen der Prinzessin kaum zu erkennen.
»Gute Nacht, Violet, schlaf jetzt. Ich werde heute nacht in deinem Bett schlafen. Ich hab’ deine Stimme satt. Wenn du den geringsten Lärm machst, komme ich rüber und setze deine Haut in Flammen. Hast du verstanden?«
»Ja«, kam es schwach durch das dunkle Loch in der Tür.
Rachel legte Sara weg, dann zog sie das Fell heran und warf es über den Kasten, bis es ihn ganz verdeckte. Dann sprang sie aufs Bett, damit es quietschte und Prinzessin Violet dachte, sie würde darin schlafen.
Lächelnd schlich Rachel auf Zehenspitzen zur Tür und drückte Sara an sich.
Nachdem sie denselben Weg wie zuvor zurückgegangen war, durch die Gänge der Dienstboten, warf sie vorsichtig einen Blick in die Halle und ging hinunter zu dem großen Tor mit den Wachen. Rachel sagte nichts. Sie hätte auch nicht gewußt, was. Sie blieb einfach stehen und wartete darauf, daß sie die Tür öffneten.
»Das war’s also. Du hast eine Puppe vergessen«, sagte der Posten.
Sie nickte bloß.
Sie hörte das Tor hinter sich zuschlagen und lief in die Dunkelheit, in den Garten. Es waren mehr Wachen unterwegs als gewöhnlich. Die normalen Wachen wurden von neuen begleitet, die anders gekleidet waren. Die neuen betrachteten sie argwöhnischer als die anderen, und sie bemerkte, wie die alten ihnen erklärten, wer sie war. Sie drückte die Puppe fest an sich und mußte sich zusammenreißen, um nicht loszurennen.
Das Bündel mit dem Brot und dem Kästchen darin befand sich noch am alten Platz: unter den Blumen. Rachel zog es hervor, hielt es mit einer Hand am Knoten und drückte Sara mit der anderen an ihre Brust. Auf dem Weg durch den Garten fragte sie sich, ob Prinzessin Violet noch immer glaubte, sie würde in dem großen Bett schlafen, oder ob sie den Trick durchschaut hatte und um Hilfe schrie. Wenn Violet um Hilfe schrie und die Wachen sie in dem Kasten gefunden hatten, würde man vielleicht schon nach ihr suchen. Sie hatte einen Umweg machen müssen, es hatte lange gedauert, bis ihre Füße sie unter dem ganzen Schloß hindurch und wieder nach oben getragen hatten. Rachel lauschte auf Rufe.
Sie konnte kaum atmen, so sehr hoffte sie, aus dem Schloß herauszukommen, bevor man sie verfolgte. Ihr fiel ein, daß Mr. Sanders gesagt hatte, man wolle das ganze Schloß durchsuchen. Sie wußte, was sie suchten. Das Kästchen. Sie hatte Giller versprochen zu fliehen. Es durfte ihnen nicht in die Hände fallen, damit sie nicht all den vielen Menschen weh tun konnten.
Auf dem Wehrgang der Mauer waren eine Menge Männer. Kurz vor dem Tor ging sie langsamer. Vorher hatten dort immer zwei Gardisten der Königin gestanden. Jetzt waren es drei. Zwei erkannte sie wieder, sie trugen die roten Hemden mit dem Wolfskopf, es waren Gardisten der Königin. Der andere jedoch war anders gekleidet, in schwarzem Leder, und er war viel größer. Einer der Neuen. Rachel wußte nicht, ob sie weitergehen oder weglaufen sollte. Aber wohin? Bevor sie wirklich fortlaufen konnte, mußte sie aus den Mauern heraus.
Rachel wurde bemerkt, bevor sie einen Entschluß fällen konnte. Also ging sie weiter. Einer der normalen Wachen drehte sich um, um den Riegel zu heben. Der neue Mann hob den Arm und stoppte ihn.
»Das ist nur die Gespielin der Prinzessin. Die Prinzessin schmeißt sie manchmal raus.«
»Niemand verläßt das Schloß«, sagte der Neue zu ihm.
Die normalen Wachen ließen wieder vom Tor ab. »Tut mir leid, Kleine, aber du hast ihn gehört. Niemand verläßt das Schloß.«
Rachel stand da und brachte keinen Laut hervor. Sie starrte den Neuen an, der auf sie herabblickte.
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