Das Erwachen
Mike Smith.
»Ich habe überall gelebt.«
»Verstehe.«
»Na dann, vielen Dank noch einmal. Für den tollen Vortrag.«
»Aber bitte. Ich danke Ihnen.« Er starrte Lucian an und schien sich endlich zu fassen. »Sie sollten wiederkommen. Wir haben auch noch andere Ausstellungen.« Er zuckte mit den Schultern. »Wissen Sie, an Halloween wollen alle immer nur die Hexengeschichten wieder aufgewärmt haben, aber auch unsere Ausstellung zur Geschichte der Seefahrt ist wirklich gut. Ferner haben wir Räume zu den ersten Siedlungen und noch vielen anderen Gebieten, die durchaus einen Blick wert sind.«
»Das möchte ich nicht bezweifeln. Ich komme sehr gerne wieder, aber jetzt ist es wohl Zeit zu schließen.«
»Tja, ich fürchte, da haben Sie recht.«
»Vielen Dank noch mal«, sagte Lucian und wandte sich zum Gehen.
»Hey!«, rief Mike ihm nach.
Lucian drehte sich um.
»Kommen Sie heute Abend auch zu Finn und Megan?«
»Wahrscheinlich. Ich werde nicht den ganzen Abend da sein, aber wenn Sie auch hingehen, dann sehen wir uns dort.«
»Sehr schön.«
Smith klang alles andere als begeistert. Lucian verließ das Museum. Das Mädchen, Gayle Sawyer, saß noch immer an der Kasse und starrte ihn an, als er vorbeiging. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie sagte nichts.
Lächelnd winkte er ihr zu und ging weiter.
Megan ging geistesabwesend an ihr Handy und hielt es ans Ohr, während sie ihre Bluse zuknöpfte.
»Hallo?«
»Megan. Ich bin es, Mike.«
»Mike, hey, wie geht’s?«
»Gut, gut, danke.«
»Du wirst es nicht glauben, aber ich habe es wirklich geschafft, Andy zu sehen. Meine Tante Martha war dort, sie kannte die Krankenschwester, und so bin ich kurz reingekommen.«
»Wie macht er sich denn, der alte Kauz?«
Megan zögerte, dann beschloss sie, nichts mehr darüber zu sagen, dass Andy gesprochen hatte, nicht einmal zu Mike.
»Er beißt sich so durch«, sagte sie.
»Gut, gut«, meinte Mike. Offenbar war er irgendwie in Gedanken. »Megan, bist du allein?«
»Mehr oder weniger«, antwortete sie mit einem Blick auf die geschlossene Tür ihres Zimmers. »Finn unterhält sich im Wohnzimmer mit Tante Martha. Warum?«
»Na ja, ich glaube nicht, dass mich dein Mann besonders mag, das ist alles. Und ich möchte nicht, dass er denkt, ich mische mich bei euch ein. Ich verstehe das selbst nicht – ich hatte einfach das Gefühl, dich anrufen zu müssen.«
»Wieso? Was ist denn los?«
»Äh, hör mal, das klingt jetzt sicher ziemlich komisch, aber … ich habe eben jemanden getroffen, der sagte, er sei ein Freund von euch aus New Orleans, und … ich weiß auch nicht … Ich weiß nicht einmal, wie ich das sagen soll. Du kennst mich – ich glaube nicht an irgendwelche abgehobenen Sachen –, aber … bei dem Typ bekam ich eine Gänsehaut.«
»Lucian«, murmelte sie. »Das kann nur Lucian gewesen sein.«
»Megan, wie gesagt, es ist wirklich zu komisch, aber ich musste dich einfach anrufen. Ich will dir nicht zu nahetreten oder dich oder einen deiner Freunde beleidigen, aber … na ja, besonders, nachdem es dir im Moment ja nicht so gut geht. Pass bei diesem Typen auf. Der hat etwas an sich, als ob er nicht ganz echt wäre. Jetzt klinge ich wie ein Idiot, hm? Aber wie dem auch sei, ich rufe dich nur an, weil ich dein Freund bin.«
»Danke, Mike. Er ist …« Sie zögerte kurz. »Er ist ein Freund. Aber danke für die Warnung. Und ich passe gut auf mich auf, okay?«
»Okay. Ich komme heute Abend. Ich werde auch auf dich aufpassen.«
»Prima. Danke.«
Die Dunkelheit brach früh herein in Neuengland. Trotz des nahezu vollen Monds und der vielen Lichter von den Straßenlampen und Geschäften schien es, als habe sie Salem in dieser Nacht tief durchdrungen.
Als Lucian zum Buchladen zurückkam, stand Eddie am Tresen, vor sich eine Schar schnatternder Kunden, die darauf warteten, ihre Einkäufe zu bezahlen. Dennoch gähnte er. Wahrscheinlich war er hundemüde, überlegte Lucian und dachte daran, dass der Laden in der Woche vor Halloween schon früh öffnete, spät schloss und wahrscheinlich die gesamte Geschäftszeit über gerammelt voll war.
Doch Eddie sah ihn, grinste und bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, nach hinten zu kommen.
Lucian fand Jade noch immer über Bücher und Zeitschriften gebeugt.
Als er eintrat, sah sie auf, gähnte und streckte sich. Auch sie war wohl müde.
»Ich glaube, ich kann nicht mehr lesen«, sagte sie.
»Hast du etwas gefunden, wofür du mich brauchst?«, fragte er.
Sie musterte ihn
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