Das Erwachen: Dunkle Götter 1
nicht glauben, und der Mörder würde sich einfach eine andere Gelegenheit für seine Missetaten suchen. Die Welt war ungerecht, so viel war ihr klar. Diese Lektion haben viele Menschen schon vor sechzehn Jahren gelernt, doch der Mörder läuft noch immer frei herum. Aber nicht mehr lange, dafür würde sie sorgen.
Als sie die Tür fast schon erreicht hatte, fiel ihr ein, dass sie eine Waffe brauchte. Der Mann, den sie töten wollte, war zu groß, als dass sie ihn unbewaffnet hätte angreifen können. Sie kehrte zur Haupthalle zurück und nahm ein eisernes Schüreisen an sich, das dazu diente, die großen Holzscheite im Kamin zu bewegen. Die lange schwarze Stange lag schwer in der Hand. Wenn sie den Übeltäter überraschen konnte, sollte das Eisen seinen Zweck erfüllen. Dann trat sie durch die gewaltige Flügeltür, die in die Kapelle führte. Sobald sie die Schwelle überschritten hatte, versteckte sie das Schüreisen hinter dem Rücken.
Die Kapelle war verlassen. Wahrscheinlich hielt er sich in den Räumen hinter dem Altar auf. Ihr Herz schlug wie wild, doch sie konzentrierte sich auf ihr Vorhaben. Tatsächlich entdeckte sie ihn in seinem Studierzimmer, wo er sich über den Schreibtisch beugte. Auf dem Tisch lag eine kleine erschaudernde Gestalt. Vor Schreck wäre sie fast geflohen, doch sie beherrschte sich und packte die Eisenstange fester.
»Still, Timothy, entspann dich! Es ist bald vorbei. Die Göttin braucht alles, was du geben kannst.« Vater Tonnsdale hatte dem Jungen die Hand auf die Stirn gelegt und hielt ihn nieder, während er seine Kräfte aus der Seele des Jungen stärkte. Timothy lag im Sterben, aber das war nötig, wenn er zu dem Werkzeug werden sollte, das Vater Tonnsdale benötigte. Ein kleines Geräusch erregte die Aufmerksamkeit des Geistlichen. Erschrocken drehte er sich um und bemerkte die junge Frau, die gerade eingetreten war.
»Penny!« Er bemühte sich, ganz ruhig zu sprechen. »Timothy ist gestürzt. Könntest du mir helfen, ihn zu halten? Ich glaube, er hat einen Anfall!« Das war eine erbärmliche Lüge, doch er war sicher, dass sie ihm glauben würde. Mindestens lange genug, um die Situation zu retten. Zwei Leichen waren schließlich fast so leicht zu verstecken wie eine.
Er wandte sich ab und sah Timothy an, weil er hoffte, auch ihre Aufmerksamkeit auf den Jungen lenken zu können, während er insgeheim den Dolch ins Auge fasste, der auf dem Schreibtisch lag.
»Gewiss, Vater. Ich helfe Euch gern.« Sie näherte sich ihm, und gerade als er nach dem Dolch griff, schlug sie ihm die Eisenstange auf den Hinterkopf. Er stürzte wie vom Blitz getroffen und sank hilflos zu Boden. Sein Hinterkopf war zertrümmert. Sie schlug noch einmal zu, um auch ganz sicher zu sein, dass er nie wieder aufstand. Dann ließ sie das Eisen fallen und sah nach Timothy.
Zu spät. Der Junge war tot, auch wenn er äußerlich noch unverletzt schien. Seine Haut war erschlafft und hing in Falten am Körper, als wäre ihm etwas entnommen worden und hätte lediglich eine leere Hülle zurückgelassen. Der Anblick des Jungen machte ihr zu schaffen. Wenn ich doch nur früher hier gewesen wäre. Vielleicht hätte ich auch dies verhindern können , dachte sie. Obwohl sie noch unter Schock stand und sich wie betäubt fühlte, ihre Gedanken waren doch klar.
Dafür werden sie mich hängen. Es war hoffnungslos, denn es gab keinen Beweis dafür, dass der gute Vater irgendetwas anderes war als der Mann, den alle kannten. Timothys Leichnam war kein Beweis, denn es gab keine äußeren Zeichen, dass man dem Jungen irgendetwas angetan hätte. Und selbst wenn, sie war die einzige Überlebende, und sie war diejenige, die gerade einen Priester erschlagen hatte. Noch einmal vergewisserte sie sich, dass der Mann wirklich tot war. Es wäre sinnlos, für ein Verbrechen zu hängen, das sie nicht vollendet hatte.
Niemand hat mich eintreten sehen. Ein vielversprechender Gedanke. Wenn sie den Toten verstecken konnte, gelang es ihr vielleicht sogar, den Zeitpunkt hinauszuzögern, an dem die Suche nach dem Mörder beginnen würde. Sie fasste den alten Mann bei den Beinen und wollte ihn wegzerren. »Was hast du bloß gegessen?«, sagte sie laut. Den fetten Hund konnte sie nicht sehr weit schleppen. Er wog sicherlich mehr als zweihundertfünfzig Pfund. Schließlich begnügte sie sich damit, den Toten hinter den Schreibtisch zu ziehen, wo er von der Tür aus nicht zu sehen war. Timothy legte sie neben ihn, auch wenn sie ein ungutes Gefühl
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