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Das Eulenhaus

Das Eulenhaus

Titel: Das Eulenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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»Warum sagst du das?«
    Henrietta sah ihn fragend an. »Ich habe gar nichts Besonderes gemeint.«
    John ging weiter, aber sehr viel langsamer. »Im Grunde genommen«, sagte er, »bin ich müde. Ich bin sogar sehr müde.«
    Sie hörte an seiner Stimme, dass er abgespannt war. »Was macht denn die Crabtree?«
    »Es ist noch zu früh, etwas zu sagen, aber ich glaube, wir kommen allmählich dahinter, Henrietta. Wenn ich richtig liege«, wieder wurden seine Schritte schneller, »wird das eine Menge unserer Ansichten revolutionieren – wir werden den ganzen Komplex der hormonalen Sekretion überdenken müssen…«
    »Du meinst, es wird tatsächlich ein Mittel gegen den Morbus Ridgeway geben? Die Leute müssen nicht mehr sterben?«
    »Das zufällig auch.«
    Ärzte sind doch drollige Vögel, dachte Henrietta. Zufällig auch!
    »Es eröffnet jede Menge wissenschaftlicher Perspektiven!« Er holte tief Luft. »Ach, wie gut, hier zu sein – wie gut, frische Luft in die Lungen zu kriegen – wie gut, dich zu sehen.« Er schenkte ihr sein typisches kurzes Lächeln. »Und Gerda tut es auch gut.«
    »Weil Gerda das ›Eulenhaus‹ ja bekanntlich rasend liebt!«
    »Natürlich liebt sie es. Ach, übrigens – habe ich Edward Angkatell schon mal gesehen?«
    »Ja, zweimal«, sagte Henrietta trocken.
    »Ich kann mich gar nicht erinnern. Er gehört auch zu diesen unauffälligen Leuten, die man sich nicht merkt.«
    »Edward ist ein lieber Mensch. Ich mag ihn, immer schon.«
    »Na, wir wollen unsere Zeit nicht mit Edward vergeuden! So Leute zählen nicht.«
    Henrietta entgegnete sehr leise: »John, manchmal habe ich – Angst um dich!«
    »Angst um mich – was soll das denn heißen?« Er sah sie erstaunt an.
    »Du bist so vergesslich – so – ja: blind.«
    »Blind?«
    »Du weißt nichts – du siehst nichts – du bist merkwürdig indolent! Du hast keine Ahnung, was andere Menschen denken und fühlen.«
    »Ich würde meinen, genau das Gegenteil ist der Fall.«
    »Du siehst das, was du anguckst, das ja. Du bist wie – wie ein Scheinwerfer. Ein sehr starker Lichtstrahl, der auf den einen Punkt gerichtet ist, wo dein Interesse liegt, und dahinter und daneben ist alles dunkel!«
    »Henrietta, meine Liebe, was hat das alles zu bedeuten?«
    »So etwas ist gefährlich, John. Du gehst davon aus, dass alle Welt dich gern hat und dir wohl gesonnen ist. Leute wie Lucy, zum Beispiel.«
    »Mag Lucy mich etwa nicht?«, fragte er verblüfft. »Ich jedenfalls habe sie immer ausgesprochen gern gehabt.«
    »Und deshalb denkst du, sie mag dich auch. Aber ich bin da gar nicht sicher. Und Gerda und Edward – ach ja, und Midge und Henry. Woher weißt du eigentlich, was sie für dich empfinden?«
    »Und Henrietta? Weiß ich eigentlich, was die für mich empfindet?« Er griff ihre Hand. »Wenigstens – deiner bin ich mir sicher.«
    Sie zog ihre Hand weg. »Man kann sich keines anderen Menschen sicher sein, John.«
    Er sah jetzt sehr ernst aus. »Nein, das lasse ich mir nicht einreden. Ich bin mir deiner sicher, und ich bin mir meiner sicher. Wenigstens – « Er verzog das Gesicht.
    »Was ist denn, John?«
    »Weißt du, wobei ich mich heute ertappt habe? Ich habe etwas ziemlich Albernes gedacht: ›Ich will nachhause.‹ Das habe ich zu mir selbst gesagt, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich damit gemeint habe.«
    »Du hast bestimmt ein Bild dazu im Kopf gehabt«, sagte Henrietta bedächtig.
    »Nichts«, sagte er barsch, »überhaupt nichts!«
     
    Beim Abendessen saß Henrietta neben David, und Lucy, die dafür gesorgt hatte, telegrafierte ihr vom anderen Tischende mit zierlichen Bewegungen ihrer Brauen Appelle zu. Keine Befehle – befehlen tat Lucy nie.
    Sir Henry gab sich alle Mühe mit Gerda und war auch recht erfolgreich. John versuchte mit amüsiertem Lächeln, den Hüpfern und Sprüngen von Lucys Quecksilbergedanken zu folgen. Midge unterhielt sich seltsam gestelzt mit Edward, der noch abwesender als üblich wirkte.
    David sah griesgrämig drein und zerkrümelte sein Brot mit nervösen Fingern. Er war mit enormem Widerwillen ins »Eulenhaus« gekommen. Er kannte bisher weder Sir Henry noch Lady Angkatell persönlich und war – da er das Empire an und für sich verachtete – darauf eingestellt, auch diese seine Verwandten verächtlich zu finden. Edward, dem er ebenfalls noch nicht begegnet war, verachtete er als einen Dilettanten. Die übrigen vier Gäste betrachtete er äußerst kritisch. Verwandtschaft, fand er, war etwas

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