Das Eulenhaus
Gefahr überfiel ihn. Wie lange saß er hier schon? Eine halbe Stunde? Oder eine ganze? Irgendjemand beobachtete ihn doch. Irgendjemand –
Und das Klicken war – ja klar, das war –
Er warf sich herum, er hatte immer sehr schnell reagiert. Aber diesmal war er nicht schnell genug. Seine Augen wurden riesengroß vor Überraschtheit, aber ihm blieb nicht mal die Zeit, ein Geräusch von sich zu geben.
Der Schuss fiel, und er sank ungelenk und der Länge nach an einer Ecke des Schwimmbeckens zu Boden.
Auf seiner linken Seite bildete sich ein dunkler Fleck, der langsam hervorquoll und auf den Betonrand des Beckens sickerte und von da aus weitertröpfelte – rot, in das blaue Wasser.
11
H ercule Poirot schnippte ein letztes Staubkörnchen von den Schuhen. Er hatte seine Garderobe für die Einladung zum Mittagessen sorgfältig gewählt und war zufrieden mit dem Ergebnis.
Er wusste zwar sehr genau, was man sonntags in England anzuziehen pflegte, hatte aber keineswegs die Absicht, mit den englischen Vorstellungen konformzugehen. Er zog städtischen Schick nach seinem Geschmack vor. Er gehörte schließlich nicht zum englischen Landadel. Er war Hercule Poirot!
Das Landleben war, wie er sich eingestand, nicht wirklich etwas für ihn. Bei diesem Wochenend-Cottage hatte er seinen vielen Freunden, die es in höchsten Tönen priesen, nachgegeben und »Resthaven« erworben, obwohl das Einzige, was ihm daran gefiel, seine schlichte viereckige Kastenform war. Die Landschaft um das Haus herum interessierte ihn nicht, obwohl sie, wie er wusste, als Kleinod galt. Sie war jedoch von viel zu wilder Asymmetrie, um ihm etwas zu sagen. Für Bäume hatte er ohnehin zu keiner Zeit Interesse – sie hatten die unordentliche Angewohnheit, mit Blättern um sich zu werfen. Pappeln oder Norfolktannen waren eben erträglich, aber dieses Buchen- und Eichengewirr ließ ihn vollkommen kalt. Eine solche Landschaft genoss man vorzugsweise an einem schönen Nachmittag und vom Auto aus. Dazu deklamierte man: »Quel beau paysage!«, und ließ sich in ein gutes Hotel zurückfahren.
Das Allerbeste an »Resthaven«, befand er, war jedoch der kleine, von seinem belgischen Gärtner Victor in säuberlichen Reihen angelegte Gemüsegarten. Victors Frau Françoise sorgte derweil mit zärtlicher Hingabe für das leibliche Wohl ihres Arbeitgebers.
Hercule Poirot trat aus dem Gartentor, seufzte, sah noch einmal hinunter auf seine glänzenden schwarzen Schuhe, rückte den grauen Homburg zurecht und guckte die Straße hinauf und hinunter.
Der Anblick von »Dovecotes« ließ ihn leise schaudern. Die beiden Cottages »Dovecotes« und »Resthaven« hatten rivalisierende Bauherren gehabt, die beide ein Stückchen Land erworben hatten. Weitere Unternehmungen ihrerseits hatte der National Trust zum Schutz der landschaftlichen Schönheiten geschickt zu verhindern verstanden. Und so standen die beiden Cottages stellvertretend für zwei architektonische Philosophien. »Resthaven« war ein streng moderner und leicht fader Kasten mit Dach. »Dovecotes« war ein auf engstmöglichem Raum versammeltes Gemenge aus Fachwerk und Altertümelei.
Hercule Poirot führte eine innere Debatte über die korrekte Weise, sich dem »Eulenhaus« zu nähern. Er wusste, dass es etwas oberhalb des Pfads ein kleines Tor und einen Weg gab. Der war sozusagen inoffiziell, ersparte einem aber gut einen halben Kilometer détour über die Straße. Hercule Poirot, der sehr auf étiquette hielt, beschloss gleichwohl, den längeren Weg zu nehmen und das Haus korrekt durch den Vordereingang zu betreten.
Es war sein erster Besuch bei Sir Henry und Lady Angkatell. Aber man nahm seiner Ansicht nach nicht unaufgefordert Abkürzungen, zumal wenn man zu Persönlichkeiten von gesellschaftlichem Rang geladen war. Die Einladung gefiel ihm übrigens zugegebenermaßen sehr.
»Je suis un peu snob«, murmelte er in sich hinein.
Er hatte die Angkatells aus der Zeit in Bagdad noch in angenehmer Erinnerung, insbesondere Lady Angkatell. Eine originelle Person! befand er für sich.
Er hatte die Zeit für den Fußweg zum »Eulenhaus« einschließlich des Umwegs exakt geschätzt und klingelte Punkt eine Minute vor eins an der Haustür. Er war froh, endlich da zu sein, und leicht erschöpft. Fußmärsche lagen ihm nicht.
Die Tür wurde vom tadellosen Gudgeon geöffnet, den Poirot billigte. Seine Begrüßungsworte waren jedoch nicht ganz die erwarteten. »Ihre Ladyschaft sind im Pavillon beim Schwimmbecken, Sir.
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