Das Eulenhaus
Himmelsrichtungen abgingen – einer durch das Wäldchen hügelaufwärts, einer zu den Blumenbeeten oberhalb des Hauses, einer zu den Wirtschaftsgebäuden und der vierte zu einem Sträßchen, in das er einbog und auf dem man nach ein paar Metern zum Cottage namens »Dovecotes« kam.
Veronica erwartete ihn bereits am Fenster des nachgemachten Fachwerkhauses. »Komm schnell herein, John. Es ist ja so kalt heute Morgen.«
Im Wohnzimmer mit den mattweißen Möbeln und den blassrosa Polstern brannte der Kamin.
Heute Morgen betrachtete er sie mit kritischeren Augen und bemerkte, dass sie ziemlich anders aussah als die junge Frau von damals. Gestern Abend war ihm das nicht aufgefallen.
Streng genommen war sie sogar heute schöner als früher, fand er. Sie verstand ihre eigene Schönheit besser, sie war auf sie bedacht und machte mehr daraus. Ihre ehemals goldblonden Haare waren inzwischen platinsilbrig. Ihre Augenbrauen hatten einen Schwung, der ihr Gesicht ausdrucksvoller machte.
Veronica war nie der Typ schönes Dummchen gewesen. Ihr Fach war, fiel ihm ein, die »intellektuelle Charakterdarstellerin«. Sie hatte auch einen Universitätsabschluss und konnte über Strindberg und Shakespeare sehr wohl mitreden.
Und jetzt fiel ihm buchstäblich ins Auge, was er in der Vergangenheit immer nur verschwommen wahrgenommen hatte – Veronica war eine beinah krankhafte Egoistin. Sie war es einfach gewohnt, immer ihren Kopf durchzusetzen, und unter den weichen, schönen, sinnlichen Konturen, so kam es ihm vor, lauerte ein hässlicher eiserner Durchsetzungswille.
»Ich habe nach dir geschickt«, erklärte sie und hielt ihm ein Zigarettenetui hin, »weil wir etwas zu besprechen haben. Wir müssen ja jetzt einiges arrangieren. Ich meine, für unsere Zukunft.«
Er nahm eine Zigarette und zündete sie an. Dann fragte er freundlich: »Haben wie denn eine Zukunft?«
Sie sah ihn scharf an. »Was soll das heißen, John? Aber selbstverständlich haben wir eine Zukunft. Wir haben schon fünfzehn Jahre verschwendet, und wir dürfen jetzt nicht noch mehr Zeit verschwenden.«
Er setzte sich. »Tut mir leid, Veronica, aber ich glaube, du hast da etwas in den falschen Hals gekriegt. Ich – habe es genossen, dich wiederzusehen. Aber dein Leben und meins haben überhaupt keinen Berührungspunkt. Sie streben vollkommen auseinander.«
»Unsinn, John. Ich liebe dich und du liebst mich. Wir haben uns immer geliebt. Du warst seinerzeit einfach ein unglaublicher Sturkopf. Aber das ist jetzt egal. Unsere Lebenspläne müssen ja nicht mehr kollidieren. Ich kehre nicht in die Vereinigten Staaten zurück. Wenn der Film, den ich zurzeit drehe, abgedreht ist, gehe ich in London auf die Bühne, mit einem ganz normalen Theaterstück. Es ist ein fantastisches Stück – Elderton hat es eigens für mich geschrieben. Es wird ein grandioser Erfolg.«
»Ganz bestimmt«, sagte John höflich.
»Und du kannst weiter Doktor spielen.« Ihre Stimme hatte etwas freundlich Gönnerhaftes. »Du sollst ja recht berühmt sein, höre ich.«
»Mein liebes Kind, ich bin verheiratet und Vater.«
»Ich bin derzeit auch noch verheiratet«, winkte Veronica ab. »Aber das lässt sich mühelos arrangieren. Dafür braucht man nur einen guten Anwalt.« Sie strahlte ihn betörend an. »Ich wollte dich immer heiraten, Liebling. Ich weiß auch nicht, woher meine verrückte Leidenschaft für dich kommt, aber sie ist nun mal da!«
»Tut mir leid, Veronica, aber ich brauche keinen guten Anwalt, für nichts. Dein Leben und meins haben nämlich nichts miteinander zu tun.«
»Nach der Nacht gestern?«
»Veronica, du bist kein Kind mehr. Du hast ein paar Ehemänner gehabt und mit Sicherheit noch etliche Liebhaber. Was hat da die Nacht gestern zu bedeuten? Gar nichts, und das weißt du auch.«
»Ach, mein lieber John.« Sie sprach mit leicht ironischer Nachsicht. »Wenn du dein Gesicht gesehen hättest – in diesem biederen Salon drüben! Als wärst du plötzlich wieder in San Miguel gewesen.«
John seufzte auf. »Ich war wieder in San Miguel. Aber versteh doch mal, Veronica – du bist aus der Vergangenheit zu mir gekommen. Und gestern Nacht war ich auch in der Vergangenheit, aber heute – heute bin ich woanders. Ich bin fünfzehn Jahre älter geworden. Ich bin jetzt ein Mann, den du überhaupt nicht kennst – und den du, wenn ich das mal sagen darf, auch nicht besonders mögen würdest.«
»Du ziehst Frau und Kinder mir vor?« Veronica war ernsthaft verwundert.
»Ja, auch
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