Das Eulenhaus
Sommerschlussverkaufswoche, da habe ich Angst, dass ich mich irgendwann einfach nicht mehr beherrsche und allen sage, was sie mich mal können – statt immer nur ›Sehr wohl, Madam‹ und ›Nein, Madam‹ und ›Ich will mal sehen, was wir sonst noch haben, Madam‹.«
»Midge, liebe kleine Midge, das kannst du dir doch nicht alles gefallen lassen!«
Midges Lachen war leicht zittrig. »Reg dich nicht auf, Edward. Wieso um Himmels willen bist du überhaupt hier? Du hättest doch anrufen können?«
»Ich wollte das mit eigenen Augen sehen. Ich habe mir nämlich Sorgen gemacht.« Er hielt kurz inne, bevor es aus ihm herausbrach. »Also, Lucy würde nicht einmal mit der Küchenhilfe so reden, wie die Frau da mit dir geredet hat. Das ist doch nicht richtig, dass du dir so viel Grobheit und Unverschämtheit bietenlassen musst. Lieber Gott, Midge, ich würde dich am liebsten sofort hier weg- und nach ›Ainswick‹ bringen. Ein Taxi rufen, dich hineinverfrachten und sofort mit dem Zug um Viertel nach zwei nach ›Ainswick‹ fahren.«
Midge blieb stehen. Alle äußere Gelassenheit fiel von ihr ab. Sie hatte einen langen, anstrengenden Morgen hinter sich, mit anspruchsvollen Kundinnen und einer extrem schikanelustigen Madame Alfrege. Sie drehte sich abrupt zu Edward und funkelte ihn erbost an. »Und warum machst du’s dann nicht? Taxis gibt’s hier jede Menge!«
Er starrte sie, verblüfft über ihren plötzlichen Zornesausbruch, nur an.
Sie redete sich fast in Rage. »Warum musst du hier aufkreuzen und so was sagen? Du meinst das doch gar nicht. Glaubst du, es macht mir die Sache leichter, wenn mich jemand nach so einem Höllenmorgen daran erinnert, dass es einen Ort wie ›Ainswick‹ gibt? Glaubst du vielleicht, ich bin dir dankbar dafür, dass du da stehst und mir erzählst, du würdest mich am liebsten aus all dem rausholen? Ganz furchtbar lieb, aber nicht ehrlich. Du meinst doch nicht ein Wort ernst. Weißt du etwa nicht, dass ich meine Seele verkaufen würde, wenn ich den Zug um Viertel nach zwei nach ›Ainswick‹ besteigen und alles hier hinter mir lassen dürfte? Ich halte nicht mal den Gedanken an ›Ainswick‹ aus, verstehst du das denn nicht? Du meinst es bestimmt gut, Edward, aber du bist grausam! So etwas zu sagen – einfach nur zu sagen…«
Sie standen sich Auge in Auge gegenüber, ein Hindernis für die zum Mittagessen strömenden Menschenmengen auf der Shaftesbury Avenue. Aber sie hatten für nichts als füreinander einen Kopf. Edward starrte Midge an wie ein Mensch, der gerade aus dem Schlaf geschreckt worden ist.
»Also los, verdammt noch mal!«, sagte er. »Du besteigst den Zug um Viertel nach zwei nach ›Ainswick‹!« Er winkte mit dem Spazierstock ein vorbeifahrendes Taxi zu sich.
Es hielt am Bürgersteig, Edward riss die Tür auf, und Midge stieg leicht benommen ein. »Paddington Station«, sagte Edward zum Fahrer und stieg selbst ein.
Schweigend saßen sie da. Midge hatte die Lippen fest zusammengepresst. Edward starrte stur geradeaus. Als sie an der Ampel in der Oxford Street hielten, stichelte Midge: »Jetzt treibe ich dich wohl zu etwas, das du gar nicht willst, was?«
»Ich will genau das«, antwortete Edward knapp.
Das Taxi schoss mit einem Ruck vorwärts.
Erst als sie von der Edgeware Road nach links in die Cambridge Terrace einbogen, fand Edward zu seiner gewohnten Art zurück. »Den Zug um Viertel nach zwei kriegen wir nicht«, sagte er, klopfte an die Scheibe und bat den Fahrer: »Fahren Sie ins ›Berkeley‹.«
»Wieso kriegen wir den nicht?«, fragte Midge eisig. »Es ist erst knapp halb zwei.«
Edward lächelte sie an. »Du hast gar kein Gepäck dabei, kleine Midge. Kein Nachthemd, keine Zahnbürste und keine Schuhe fürs Land. Es gibt aber noch einen Zug um Viertel nach vier. Und jetzt gehen wir erst mal essen und besprechen alles.«
Midge seufzte. »Das sieht dir ähnlich, Edward. Du denkst immer an die praktischen Seiten. Spontane Entschlüsse sind nichts für dich, was? Ach ja, jedenfalls war es ein schöner Traum, wenn auch nur ein kurzer.« Sie legte ihre Hand in seine und lächelte ihn an wie früher.
»Tut mir leid, dass ich dich mitten auf dem Bürgersteig angepöbelt habe wie ein Fischweib«, sagte sie dann. »Aber du kannst einen wirklich rasend machen, Edward.«
»Ja«, sagte er, »das kann ich wohl.«
Glücklich und Seite an Seite betraten sie das »Berkeley«, bekamen einen Tisch am Fenster, und Edward ließ ein vorzügliches Essen
Weitere Kostenlose Bücher