Das Experiment
und deshalb kann es auch keine Placebowirkung gewesen sein. Ich habe mich rundum gut gefühlt.«
»Und wie war es mit Nebenwirkungen?« fragte Kim weiter.
»Davon habe ich fast nichts bemerkt«, antwortete Edward. »Im Vergleich zu den Depressionen waren sie auf jeden Fall akzeptabel.«
»Ist ja interessant«, sagte Kim nachdenklich.
»Nun weißt du also, daß ich schon mal Antidepressiva genommen habe«, sagte Edward. »Hoffentlich habe ich dich nicht schockiert – wo du doch so strenge Vorstellungen hast, was die Einnahme von Medikamenten angeht.«
»Unsinn!« entgegnete Kim. »Ganz im Gegenteil. Ich finde es gut, daß du so offen darüber sprichst. Außerdem kann ich mir kein Urteil darüber erlauben. Ich habe zwar noch nie Prozac genommen, aber dafür war ich während meiner Collegezeit mal in psychotherapeutischer Behandlung. Somit haben wir also beide Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht.«
Edward lachte. »Du hast recht! Wir sind beide verrückt.«
In Salem fanden sie ein kleines, beliebtes Restaurant, in dem frischer Fisch serviert wurde. Es war so voll, daß sie sich mit zwei Barhockern an der Theke begnügen mußten. Sie bestellten beide gebackenen Kabeljau und dazu ein Bier. Als Nachspeise aßen sie einen Pudding, der nach einem uralten indianischen Rezept zubereitet worden war.
Nach der lauten, kneipenähnlichen Atmosphäre in dem Restaurant genossen sie anschließend die Stille im Auto. Als sie das Anwesen der Stewarts wieder erreicht hatten und das Tor passierten, wurde Edward plötzlich ganz nervös. Er zappelte unruhig auf seinem Sitz hin und her und strich sich immer wieder das Haar aus der Stirn.
»Was ist mit dir los?« wollte Kim wissen.
»Gar nichts«, erwiderte Edward leicht stotternd.
Kim hielt neben seinem Wagen und zog die Handbremse; den Motor ließ sie laufen. Dann wartete sie, weil sie wußte, daß Edward noch etwas loswerden wollte.
Endlich überwand er sich und rückte mit der Sprache heraus: »Hättest du nicht vielleicht Lust, noch mit zu mir zu kommen?«
Die Einladung rief bei Kim ein zwiespältiges Gefühl hervor. Einerseits wußte sie genau, daß Edward gerade all seinen Mut zusammengenommen hatte, und sie wollte ihn nur ungern zurückweisen. Andererseits mußte sie an die Patienten denken, die sie am nächsten Morgen zu versorgen hatte. Ihr berufliches Pflichtgefühl gewann schließlich die Oberhand. »Tut mir leid«, sagte sie. »Es ist schon zu spät; ich bin total erschöpft. Ich bin seit sechs Uhr heute morgen auf den Beinen.« Um dieSituation zu entkrampfen, fügte sie noch scherzhaft hinzu: »Sieh es doch einfach so: Die kleine Kim muß morgen in die Schule gehen, und sie hat ihre Hausaufgaben noch nicht erledigt.«
»Wir müssen ja nicht mehr lange aufbleiben«, bettelte Edward. »Außerdem ist es doch erst kurz nach neun.«
Diese Bemerkung brachte Kim aus der Fassung. »Ich glaube, das geht mir etwas zu schnell«, sagte sie verlegen. »Ich bin gerne mit dir zusammen. Aber ich möchte nichts überstürzen.«
»Natürlich«, murmelte Edward. »Du hast recht. Ich bin übrigens auch sehr gerne mit dir zusammen.«
»Vielleicht können wir uns ja am Wochenende sehen«, schlug Kim vor. »Freitag und Samstag habe ich keinen Dienst. Wie sieht es bei dir aus?«
»Was hältst du davon, wenn wir Donnerstag abend essen gehen?« fragte Edward. »Dann kannst du dich wenigstens nicht damit rausreden, daß du am nächsten Morgen arbeiten mußt.«
Kim lachte. »Abgemacht. Und ich werde versuchen, meine Hausaufgaben vorher zu erledigen.«
Kapitel 4
Freitag, 22. Juli 1994
Kim schlug die Augen auf und blinzelte ins Tageslicht. Im ersten Moment wußte sie nicht, wo sie war. Die Vorhänge, die die helle Morgensonne ausschlossen, kamen ihr unbekannt vor. Erst als sie sich umdrehte und den schlafenden Edward neben sich liegen sah, fiel ihr schlagartig alles wieder ein.
Sie zog sich die Decke unters Kinn und fühlte sich unwohl und fehl am Platze. »Du Heuchlerin«, schimpfte sie sich leise. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, daß sie Edward erst vor einpaar Tagen ermahnt hatte, nichts zu überstürzen. Und jetzt wachte sie hier auf – in seinem Bett. Noch nie war sie mit einem Mann so schnell intim geworden.
Sie wollte aufstehen und sich so leise wie möglich anziehen, um Edward nicht aufzuwecken. Doch sie hatte Pech. Denn am Fußende des Bettes begann Buffer zu knurren, Edwards kleiner, weißer Jack-Russel-Terrier, der ziemlich scheußlich aussah und
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