Das Experiment
Schwester Mary fragen, aber ich …“
Sie schüttelte den Kopf, da sie nicht weitersprechen konnte.
„Das mit dem Telefon verstehe ich auch nicht“, sagte Harry. „Aber ich weiß, was du machen
kannst
.“
„Und was?“ fragte Ginny.
„Setz dich an deinen Schreibtisch und erledige ein paar Telefonate. Geh diesen Geschichten nach, unterhalte dich mit den Familien. Versuch, etwas über diese Anrufe herauszubekommen. Schwester Mary ist gestorben, bevor sie alles darlegen konnte, was sie wusste, aber sie hat dir einen Hinweis darauf gegeben, wo du anfangen kannst. Dafür bist du ausgebildet worden, also nichts wie ran an die Recherche.“
Ginny stand auf. Harry hatte Recht. Sie hatte unter Schock gestanden. Es musste eine Antwort geben, sie hatte sie bloß noch nicht gefunden.
„Lass es mich wissen, wenn du etwas erfährst“, sagte er.
Ginny nickte.
„Ach ja, noch etwas …“
Sie blieb stehen.
„Vielleicht solltest du im Moment wirklich besser nicht ans Telefon gehen. Nur um sicherzugehen, okay?“
Ginny schluckte nervös. „Einverstanden, ich lasse alle auf den Anrufbeantworter sprechen.“
„Nein, jemand anderes soll deine Anrufe annehmen. Offiziell hast du eine Reportage zu erledigen und bist nicht zu erreichen.“
Es war fast fünf Uhr nachmittags, als Ginny das letzte Telefonat beendete. Sie hatte über zwei Stunden gebraucht, um jemanden in Oklahoma zu finden, der die Meldung über Allison Turner in der
Oklahoma Dispatch
bestätigen konnte. Sie musste vier Mal anrufen, ehe der Reporter zurückrief. Dieser musste dann erst einmal seine Notizen durchsehen, ehe er sie an Allisons Freund vermitteln konnte, der alles mit angesehen hatte. Ginny rieb sich erschöpft die Augen.
Ihr Blick wanderte über ihre eigenen Notizen und über die Dinge, die Georgia ihr geschickt hatte. Alles war so bizarr. Angefangen beim ersten Opfer, dessen Ehemann nach Hause kam und den Sohn bei der Nachbarin vorfand, bis hin zu Allison, die mit ausgebreiteten Armen in einen Tankwagen gerast war, musste sie zugeben, dass Georgias Warnung in Bezug auf die Anrufe etwas für sich hatte. Nur bei Georgia war der Verlauf ein anderer gewesen. Der Priester des Klosters, ein gewisser Pater Joseph, hatte erklärt, sie sei aus dem Beichtstuhl gekommen und an ihm vorbeigegangen, als wäre sie in Trance und er unsichtbar gewesen. Im Beichtstuhl gab es kein Telefon. Im gesamten Kloster gab es kein Telefon, vom Hauptbüro einmal abgesehen. Dennoch wusste Ginny, dass Georgia das Gleiche wie den anderen widerfahren war.
Sie stützte den Kopf in ihre Hände und atmete erschöpft durch. War es wirklich erst heute Morgen gewesen, dass ihre Welt auf den Kopf gestellt worden war? Ihre Augen brannten, ihr Kopf war von einem hämmernden Schmerz erfüllt. Sie hatte an diesem einen Tag mehr geweint als seit Jahren, und das Einzige, was sie davon hatte, waren rasende Kopfschmerzen. Vielleicht passierte ihr nichts, solange sie nicht ans Telefon ging. Aber so konnte sie nicht leben. Sie musste herausfinden, was vor sich ging und wer dahinter steckte.
An einem benachbarten Schreibtisch schrillte das Telefon, und Ginny zuckte zusammen, als hätte jemand auf sie geschossen.
So kann ich nicht leben. Ich muss weg von hier, wenigstens eine Zeitlang. Und ich muss Harry sagen, was ich herausgefunden habe.
Sie sammelte ihre Notizen, nahm ihre Handtasche und begab sich in das Büro ihres Chefs.
„Das bringt nichts“, sagte sie und ließ sich in den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen.
Redford blickte auf, schob den Aktenstapel zur Seite, der vor ihm lag, und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Erzähl schon“, forderte er sie auf.
„Also gut. Das sind die Dinge, die ich weiß: Wir waren sieben Mädchen in der ersten Klasse für Begabte, die es an der Montgomery Academy gab. Um genau zu sein, war es auch die einzige Klasse dieser Art, weil die Schule noch vor dem Ende des Schuljahrs abbrannte. Von diesen sieben sind in den letzten Monaten sechs ums Leben gekommen. Ich bin die einzige Überlebende. Außerdem stimmt Georgias Theorie, dass jede von ihnen unmittelbar vor ihrem Tod einen Anruf erhielt.“ Sie atmete tief durch und beugte sich vor. „Ich weiß im Grunde so viel wie vorher“, sagte sie. „Und das macht mir Angst, Harry. Und es gefällt mir nicht, Angst zu haben. Ich gehe zur Polizei und teile dort alles mit, was ich weiß, danach verlasse ich eine Weile die Stadt. Ich weiß noch nicht, wohin ich gehen werde, aber ich melde mich
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