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Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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zu sein. In einer Ecke sitzt dieser Typ, Dickie Kennedy, und ich erinnere mich an die Geschichte, wie er seine Frau drankriegte, weil sie »die Familie böswillig verlassen« hatte. Und das Eigenheim kriegte er auch.
    Ich hätte meinen hellgrünen Tweedrock anziehen sollen, der an den Schenkeln spannt – so könnte ich’s ihnen zeigen. Oder ich hätte in einem dieser todschicken Wickelkleider hier sitzen sollen. Das denke ich, hier in der Bar des Hotels Shelbourne, kurz vor der Scheidung (oder ist es kurz vor dem Wahnsinn?) – ich denke mir, dass Kleider an der Sache etwas ändern würden.
    Ich sitze da und nippe an einem schweren Glas Gin Tonic, und ich erkenne, dass es für eine Frau wie mich nur eine begrenzte Anzahl Möglichkeiten gibt, einen Abgang zu machen.
    Vor zwei Jahren bekam ich einen Brief von Ernest. Er teilte mir mit, er wolle den Priesterstand verlassen, obwohl er beschlossen habe, in seiner kleinen Schule in den hohen Bergen zu bleiben. Und da sein Bischof ein Wörtchen mitzureden hätte, habe er beschlossen, seinem Bischof nichts davon zu sagen – ja, außer Freunden und Familienangehörigen (aber: Sag’s bloß nicht Mammy! ) lasse er niemanden wissen, dass er nicht länger »Father Ernest« sei, sondern wieder der schlichte alte »Ernest«. Einmal ein Priester, immer ein Priester, natürlich – insofern belüge er eigentlich niemanden, solange er nur den Mund halte. »Ich habe keinen Platz mehr zum Leben als in meinem Herzen«, schrieb er, womit er meinte, er werde sein Leben weiterführen wie bisher, aber zu insgeheim anderen Bedingungen.
    Und ich dachte, das sei das dümmste Geschwafel, das ich je gehört hatte, bis ich mir, auf einem Hocker in der Shelbourne Bar sitzend, überlegte, was passieren würde, wenn ich einfach weitermachte wie sonst, niemandem davon erzählte, nichts veränderte und beschlösse, nach allem doch nicht verheiratet zu sein.
    Und ich fragte mich, wie viele von den Leuten um mich herum auf genau derselben Grundlage mit ihren Ehepartnern zusammenlebten, schliefen und lachten, und fragte mich, wie traurig sie wohl waren. Nicht sehr, allem Anschein nach. Eigentlich überhaupt nicht.
    Das letzte Mal hatte ich Dickie Kennedy draußen in seinem staunenswerten Haus in Glenageary gesehen. Es musste nach Rebeccas Geburt gewesen sein. Und, mein Gott, war er primitiv. »Ich sehe, Brian hat beide Hände voll zu tun«, sagt er, als irgendeine arme Frau ihren Rock über einem drallen Hintern glättet, da sie keine andere Möglichkeit zu haben scheint, sich aus dem Zimmer zu zwängen. Wir sitzen da und hören uns diesen Stuss an, und wir essen Pilzrisotto, gefolgt von Seehecht in einer hellgrünen Sauce. Das Essen ist sehr gut. Emer, die Frau, die alles zubereitet hat, hat ihre Haut durch zu viel Sonne und zu viel Creme zu einem richtigen Fell verdickt. Wenn sie mit den Schultern zuckt, bin ich wie gebannt vom V ihres Tops und sehe, wie die ganze Chose schwabbelt und knittert. Sie stellt mir einige Fragen, es sind gute Fragen, und ich beantworte sie, und so nimmt das Abendessen zu jedermanns Zufriedenheit seinen Fortgang. Sie ist wirklich ziemlich geistreich. Leicht beschwipst erzählt sie eine Geschichte von einer Frau, die wir alle kennen, die sich in Dickies Büro das Top ausgezogen hat – wie hässlich die war, ihr macht euch ja keine Vorstellung, allein die Unterwäsche -, als er heimgekommen sei, habe er sich immer noch geschüttelt. Wir lachen alle. Und dann fahren wir nach Hause.
    Hinterher, im Auto, muss sogar Tom sich leicht schütteln, als könne er den Vertrag, der uns soeben angeboten wurde, nicht fassen.
    »Was sollte das denn?« Ich bringe die Babysitterin nach Hause, und als ich wiederkomme, sitzt er im Dunkeln im Wohnzimmer und trinkt eine ganze Flasche Whiskey.
    Aber vielleicht war das auch an einem anderen Abend. Eine Zeit lang waren alle diese Abende gleich.
    »Soll ich Licht machen?«
    »Nein, danke.«
    »Kommst du ins Bett?«
    Und schon geht es wieder los. Nach ein paar Drinks, aber manchmal auch dann, wenn wir nüchtern sind, spielen wir Unglücklichsein, drehen uns endlos im Kreis. Ding dong. Immer enger. Immer länger.
    »Nein, ich bleibe noch ein Weilchen sitzen.«
    »Wie du willst.«
    »Ja.«
    Ein Geziehe und Gezerre. Komm her, und ich sag dir, wie sehr ich dich hasse. Nun warte doch, bis ich dich verlasse. Und die ganze Zeit über wissen wir, dass wir an der Sache vorbeireden, was immer die Sache mal gewesen war. Aber jetzt weiß ich, was Sache ist,

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