Das Familientreffen
das nicht auffiel. Aber ich machte die richtigen Bewegungen, und ich machte ihm Platz, und ich gebot ihm nicht Einhalt. Insofern muss auch ich es gewollt haben, oder etwas dieser Art.
Er sollte nicht erfahren, was sich im Griffith Way abgespielt hatte, nachdem er aufgebrochen war. Oder dass ich eine Pille eingenommen hatte (vielleicht war es die Pille?) oder dass ich mir wie ein frisch geschlachtetes Tier vorkam, selbst als er furchtbar gerührt war. Falls es Rührung war, was er empfand. Jedenfalls stöhnte und zuckte er, als stünden alle seine Nerven in Flammen.
Hinterher liegen wir Gesicht an Gesicht, bis zum Hals unterm Federbett vergraben. Im Lauf der Jahre haben wir einander zu viel gesagt. Jetzt bleiben wir vernünftigerweise stumm.
Aber eines muss er mir noch mitteilen.
»Es tut mir leid«, sagt er.
Einen Moment lang glaube ich, dass er sich für den grässlichen Sex entschuldigt, dann denke ich, dass er den Tod meines Bruders bedauert, aber in Wahrheit tut ihm irgendein Fehltritt leid, den er in der Vergangenheit begangen hat – gleich erzählt er mir noch, wie wenig sie ihm bedeutet hat -, und unter den gegebenen Umständen (gerade wird mir bewusst, dass ich soeben zum letzten Mal mit meinem Mann geschlafen habe) komme ich ihm zuvor, indem ich sage: »Ist schon gut. Ist schon gut.«
Dies wertet er als ein gutes Omen. Alles wird besser werden. Er sagt, ich solle etwas tun. Einen Teilzeitjob annehmen oder wenigstens täglich einen Spaziergang machen – wie wär’s mit einem Haus, wie wär’s damit, ein Haus zu kaufen und herzurichten, jetzt, da der Wohnungsmarkt in Bewegung geraten ist? Geld. Ich könnte Geld verdienen. Er sagt, er habe zu viel zu tun gehabt, habe eine Talsohle erreicht, aber jetzt seien wir über den Berg, er sei darüber hinweg.
Und ich sage: »Eine Talsohle?«
Er sagt: »Bitte, fang nicht schon wieder damit an.«
Ich sage: »Deine Töchter werden mit Männern wie dir schlafen. Mit Männern, die sie hassen werden, nur weil sie sie begehren.«
Und er sagt: »Wie bitte?« Er sagt: »Himmel! Weißt du, es ist einfach nur...«
»Einfach nur was?«
Ich glaube, er meint, dass diesen Dingen Grenzen gesetzt sind, der Art, wie Männer denken. Dass es nicht wirklich ist. Dass niemand deswegen umkommt, zum Beispiel. Ich glaube, er meint, dass uns nichts anderes vergönnt ist als dieses Seite-an-Seite-Liegen.
Wahrscheinlich hat er recht. So liege ich also da, Seite an Seite mit ihm, und denke über den sich ausbreitenden blauen Fleck an meinen Genitalien nach.
»Komische Sache, die Körper von Männern«, sage ich. »Sie lügen nicht. Das muss doch praktisch sein. Ich meine, sie sind gebaut, um die Wahrheit zu sagen. An – aus. Mag – mag nicht. Will – will nicht.«
Und Tom sagt: »Eigentlich nicht.« Es gebe keine zuverlässige Koppelung, sagt er, zwischen dem, was er wolle und was sein Schwanz wolle, manchmal wisse er es selbst nicht.
»Ach so«, sage ich, drehe mich um und schlafe ein.
32
Natürlich war es Ita, die in der Tür stand, ich hätte es wissen müssen. Es war nicht Ada, es war meine verwirrte ältere Schwester, vor lauter Alkohol psychotisch und mit einer blödsinnigen neuen Nase ausgestattet.
Als ich sie sah, fiel mir dies ein.
Ein Bild, ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll. Es ist ein Bild in meinem Kopf, ein Bild von Ada, die in Broadstone in der Tür zur guten Stube steht.
Ich bin acht.
Ada lässt ihren Blick an meiner Schulter und meinem Rücken herabkriechen. Dann trifft ihr Blick auf meine Seite, er ist fuchsteufelswild, wie ein Licht: Meine Haut verhärtet sich unter ihm und schrumpelt wie eine Brandwunde. Und auf meiner anderen Seite ist das einladende Dunkel Lambert Nugents. Ich blicke in dieses Dunkel und falle. Ich halte seinen alten Penis in meiner Hand.
Aber es ist ein sehr merkwürdiges Bild. Es besteht aus den Worten, die es beschreiben. Ich denke an das »Auge« seines Penis, und es presst sich gegen mein eigenes Auge. Ich »ziehe« daran, und Nugent kippt um, auf mich zu. Ich »sauge« daran, und aus seinem Mund ragt ein schmales Zitronenbonbon.
All dies entstammt einem Ort in meinem Kopf, wo Worte und Taten sich vermengen. Es entstammt den allerersten Anfängen, und ich weiß nicht, ob es wahr ist. Ob es wirklich ist. Aber dennoch ekelt das Böse an ihm mich an. Ich gerate davon ins Schwitzen, die schwarzen Dreiecke unter seinen scharfen Wangenknochen, die Art, wie sein Kopf sich langsam dreht und seine Augen noch langsamer
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