Das Feenorakel
den Nacken legte, um ihn anzusehen. Ihren Katzenaugen, dem zarten, herzförmigen Gesicht, ja sogar der Wärme ihres Körpers hätte er widerstehen können, aber als sein Blick auf ihre weichen, verführerisch glänzenden Lippen fiel, war es um ihn geschehen. Wie von selbst senkte sich sein Kopf.
Ein Seufzer erklang, als ihre Lippen sich berührten, und Julen hätte nicht sagen können, aus wessen Kehle der kaum hörbaren Laut erklungen war. Seine Lust gab einer bis dahin unbekannten Zärtlichkeit Raum, und während sie sich in seinen Armen drehte und danach vertrauensvoll an ihn schmiegte, konnte er nur daran denken, ihr nicht wehzutun. Diese Alva war anders als die kleine Wildkatze, die ihn in ihren Träumen besucht hatte.
Ihre zarte Scheu gefiel ihm und erregte ihn. Behutsam tastete er sich voran. Küsste ihre Mundwinkel, hauchte lautlose Versprechen auf ihre geschlossenen Augenlider und genoss es, ihrem Puls zu lauschen, der in seinen Ohren zum aufgeregten Summen eines Bienenschwarms wurde.
Ihre Reaktion ermutigte Julen, mehr zu wagen. Seine Hände verließen den Platz auf ihren Schultern. Zärtlich strich er ihr über die Arme, den Rücken hinab, bis sie die Taille erreichten. Der harmonische Schwung ihrer Hüftlinie fühlte sich in der Realität genauso an, wie er es sich vorgestellt hatte. Er nahm sich Zeit und genoss jede Berührung. Ihr Seufzen brachte ihn fast um den Verstand, während er den Saum ihres T-Shirts hochschob und sich wünschte, seine Hände wären nicht zu rau, als sie über weiche Haut strichen, die unter seinen Zärtlichkeiten leicht zitterte.
Was tue ich hier? Sie war noch so jung und benahm sich ganz anders als die fordernde Verführerin aus seinem Traum. Vielleicht hatte er sich nicht nur ihren Besuch, sondern auch den Duft eingebildet, der noch tagelang in seinen Kissen die Erinnerung an ihre leidenschaftliche Begegnung geweckt hatte … Und der Tisch? , fragte eine ironische Stimme in seinem Kopf, die er bis vor Kurzem noch für einen treuen Begleiter und nicht für einen teuflischen Provokateur gehalten hatte. Nur weil er nicht genau wusste, wie Traumreisen funktionierten, hieß das schließlich nicht, dass er keine erlebt hatte.
Als Alva den zerbrochenen Tisch gesehen hatte, war sie – oder ihr Traumabbild – in schallendes Gelächter ausgebrochen.
Bei Gott, sie hatten es überall getrieben, auf dem Teppich, gegen die Wand gelehnt, auf dem Dach über seiner Pariser Wohnung ... Und zwischendurch hatte er sie mit Leckereien gefüttert, die er aus dem Kühlschrank eines Nachbarn gestohlen hatte. Sogar Sahne war im Spiel gewesen, erinnerte er sich mit einem wohligen Grusel vor dem merkwürdigen Lebensmittel auf seinem Körper und an ihre eifrige Zunge. Ganz gleich ob Traum oder Realität, wenn er ehrlich war, konnte er seither kaum noch an etwas anderes denken.
Wie gerne hätte er sich in ihr verloren, ihr hier und jetzt bewiesen, wie sehr er sie begehrte. Doch Julen war immer und zuallererst ein Jäger und seine animalischen Instinkte blieben jederzeit hellwach. Nur deshalb gelang es ihm, sich rechtzeitig aus ihrer Umarmung zu lösen.
Als die Tür aufsprang, stand er gute drei Meter von Alva entfernt, die sich tapfer bemühte, ihre Verwirrung in den Griff zu bekommen.
«Hallo Chris!»
Der heisere Klang ihrer Stimme berührte eine bis dahin unbekannte Stelle in ihm und löste ein fast unbezwingbares Verlangen danach aus, sie um jeden Preis zu beschützen. O ja, besitzen wollte er sie auch, aber ihre Sicherheit stand an oberster Stelle. Was in diesem Augenblick natürlich Unsinn war, denn in der Tür stand kein gefährlicher Eindringling, sondern nur Alvas Mitbewohnerin. Andererseits hatte Julen gelernt, niemandem zu trauen, und diese Christabella verbarg etwas, da war er sich ganz sicher. Dummerweise waren ihre tiefer verborgenen Gedanken außergewöhnlich schwer zu lesen und alles, was er momentan an der Oberfläche ihres Bewusstseins entdeckte, war Amüsement.
Chris hielt den Kopf leicht schräg und blickte von einem zum anderen. Ein wissendes Lächeln erschien in ihren Augenwinkeln. «Tut mir leid, ich habe nicht damit gerechnet, dass du Besuch hast.» Jetzt grinste sie unverhohlen. «Hi, Julen. Also doch! Lasst euch lieber nicht von Tom erwischen, ich fürchte, sein ... ähm ... brüderlicher Schutzinstinkt ist ein bisschen überentwickelt.»
Vielleicht lag es daran, dass sie wirklich nicht damit gerechnet hatte, ihn in Alvas Zimmer anzutreffen, oder sie war durch das
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